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Bonn 22. Mai 1918.

Lieber Paul,

ich danke Dir für Deine beiden Briefe. Ich will versuchen, Dir zu antworten, obwohl ich zurzeit nur einen kleinen Rest meiner Kraft zur Verfügung habe und gegen Dich stets meinen ganzen Geist gebrauchen musste. Ich habe das Gefühl, das Du dich mir bedeutend genähert hast. Ja, wir sind vielleicht noch näher beieinander, als Du glaubst. Denn Du hast mich nach der philosophischen Seite nicht ganz verstanden.

Otto gebe ich Dir für jede philosophische Kritik preis. Sein religiöses Apriori ist psychologistisch gemeint. Die menschliche Vernunft ist eine große Schatzkammer. Durch Selbstbeobachtung findet sie ihre ursprünglichen, nicht weiter ableitbaren Ideen. Das Selbstvertrauen, das sie zu sich hat, und über das man nicht weiter diskutieren kann, verbürgt ihr die Wahrheit all dieser Ideen. Das Religiöse als solche nicht weiter ableitbare Idee aufzuweisen, ist die Aufgabe, die er sich im Heiligen gestellt hat. – Eine Widerlegung dieses philos. Standpunktes ist unter uns nicht nötig. Nur soviel darf ich sagen: Die psychologistische Fragestellung hat Ottos Beschreibung des Religiösen ungünstig beeinflußt. Die Religion ist ihm doch etwas recht Paganistisches. Die Stellungnahme der individuellen Selbstsucht, die das Numinöse entweder als grauenvolle Bedrohung der eigenen Existenz empfindet, oder als neuen Daseinsreiz verwendet, ist von ihm in das ursprüngliche religiöse Erlebnis mit einbezogen worden. Das mag psychologisch richtig sein, – besonders für die ersten Regungen der Religion auf heidnischem Boden – ist aber religionsphilosophisch ganz falsch

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Ich möchte also nicht von Dir mit Otto in einen Kuchen gestoßen werden. Ich fühle mich ihm verwandt, sofern er die erste bedeutende theistische Religionsphilosophie geliefert hat. Aber ich habe nur einige Worte von ihm übernommen, und das, was ich Dir schrieb, ist, was die zugrunde liegende religiöse Anschauung anlangt, nicht von Otto, sondern von LUTHER gelernt, und steht philosophisch sogar in ausdrücklichem Gegensatz zu OTTO. - -

Du stellst mich in Deiner Kritik vor ein Entweder–Oder. Entweder die beiden geistigen Grunderlebnisse sind zufällige zwei aus einer prinzipiell undendlichen, weil empirischen Reihe, – oder sie sind unter einem Gesichtspunkt als die beiden notwendig einzigen zu erkennen.Ich glaubte keinen Zweifel gelassen zu haben, daß allein das zweite meiner Meinung entspricht. Nicht umsonst wählte ich die Formeln: Gewißheit des Geistes: von sich SELBST – vom ANDERN. Neben den beiden ist ein Drittes nicht denkbar. Ich wollte keinen Augenblick Zweifel lassen, daß ich den Grundgegensatz, unter dem alle unsere Eekenntnis steht, zur Begründung der Religionsphilosophie verwandt hatte.

Eben darum kann ich nun aber auch Deinen Haupteinwand (die Dialektik des Supra) auflösen. Ich habe ihn selbstverständlich erwartet, wenn ich auch enttäuscht bin, daß es mir nicht gelungen ist, in meinem Brief mein lebendiges Empfinden dieser Dialektik so deutlich auszudrücken, dass Du merktest: das eigentliche Leben meines religiösen Standpunktes ist gerade das Wissen um jene Dialektik. Ich bin der Meinung, daß jeder fromme Mensch sie unwillkürlich empfindet. Darauf beruht ja gerade die Tiefe, die innerliche Unendlichkeit des frommen Lebens, das es in einem abgründlichen Widerspruche schwebt. Freilich erlebt der Fromme diese Dialektik meist in ihrer paradoxesten Gestalt, die Du nicht berücksichtigt hast: das Supra wird als das Absolute so tief empfunden, daß darüber das "INFRA" untergeht."Wer bin ich, daß ich mit Gott reden könnte?" Dieser Satz drückt auch das Empfinden einer innerlichen Unmöglichkeit aus (UND nicht etwa bloß etwas Ethisches). Ich bin nichts, was überhaupt vor Gott wäre, wie kann ich denn ein Verhältnis zu ihm haben? – Auch alle religiösen Zweifel beruhen auf dem Empfinden dieser Dialektik. Die Gewißheit Gottes wird von meiner Selbstgewißheit umfaßt und getragen, sie geschieht, wie ich das in meinem Briefe ausdrückte, innerhalb der Formen der Evidenz (nebenbei traust Du mir zu, daß ich diese Wendung in kindlicher Naivität, ohne Empfindung des Ungeheuerlichen, das ich damit sagte, hinschreiben konnte?) – und eben diese Selbstgewißheit| der Evidenz, die nicht mehr ist, wenn sie nicht alles ist, wird durch den Inhalt, den sie hier umfasst (Gott das Absolute und das Jenseits ihrer), verneint. Damit wird aber nicht nur jeder sonstige Inhalt um seine Gewißheit gebracht, sondern vor allem auch Gott selbst. Der Gedanke Gottes hebt sich, wenn man ihn denken will, selber auf, er ist zu stark für uns, wir können ihn nicht tragen. Darauf beruht alle Gottesungewissheit bei klar und logisch angelegten Naturen, diedoch zugleich fähig sind, den Inhalt des Gedankens "GOTT" zu ahnen. Sie scheuen sich vor diesem Widerspruch. Auch Dein Lieblingssatz: Gott "ist" nicht, ist nichts als ein Ausdruck dieses religiösen Grundwiderspruchs. Gott ist kein Gegenstand, den unsere Erkenntnis so selbstverständlich und unbekümmert bejahen könnte wie alles, was ihr sonst wahr und gewiß ist.Nun habe ich eine Frage an Dich, Paul. Du gibst doch sonst dem Paradox soviel

Nun habe ich eine Frage an Dich, Paul. Du gibst doch sonst dem Paradox soviel Raum in Deinem System. Warum stellst Du Dich denn hier auf den Standpunkt des simplen Rationalismus? Dass diese Grundposition nicht zu Heteronomie und sonstigen theologischen Naivitäten führen muß, habe ich in meinem Briefe zu zeigen versucht, und Du könntest das gewiß noch sehr viel besser als ich; gerade wenn man sich den philosophischenGehalt Ausdruck der religiösen Paradoxie erarbeitet hat, ist man gefeit gegen alle unphilosophischen heteronomen Wendungen des Gedankens. Du dagegen bist in Gefahr, daß eine ganz elementare religiöse Kritik an Dir nicht nur Deinen Rationalismus (um den wäre es nicht so schade), sondern auch alle Vernunft hinwegschwemmt.

Ich kann auch so sagen: die ganze Dialektik des Supra ist nichts anderes als die alte Dialektik des Nich-Ich, das außer dem Ich sein soll und doch im Ich ist. Diese Dialektik zwischen Ich und Nicht-Ich ist auch im Grunde nichts als der Widerschein der Dialektik Geist–Gott. Ebenso wie Du nun das Nicht-Ich von dem Gesichtspunkt der Immanenz des Ich aus nur ideell aufheben kannst und die geheimnisvolle Tatsache, daß wir nicht reines Ich sind, sondern ein Nicht-Ich gegen uns haben, immer bestehen bleibt, ebenso ist es auch mit jener unergründlich tiefen Dialektik Geist–Gott. Sie bezeugt sich uns, und ein tieferes Nachdenken über die erkenntnistheoretischen Fragen wird sie als die Voraussetzung unsres ganzen widerspruchsvollen geistigen Seins erkennen. Man kann sie ideelll auf| heben, aber sie bleibt daru>m doch da. Darum hast Du – und dass Du das nicht tatest, macht mir gute Hoffnung – die geistige Tatsache selbst nicht bestritten, sondern allein ihre Erklärung durch den Gottesbegriff. Wir reden beide als Sehende. Ich habe Schelling II1] gesegnet, als ich Deinen Brief bekam, obwohl ich ihn noch immer nicht liebe. Du verdankst ihm doch sehr viel.

Vielleicht verstehen wir uns am besten, wenn ich auf Deinen tiefsten Einwand gegen mich komme. Ich hatte ihn, wie ich den Brief schrieb, immer vor der Seele. Es ist der, der mir innerlich am meisten zu schaffen gemacht hat von jeher. Ich habe mir das Recht meines theistischen Idealismus erst gegen ihn erkämpfen müssen. Er ist daran schuld, daß ich nicht schon vor mehreren Jahren den Standpunkt hatte, den ich jetzt habe. Mein Satz, daß der Geist als solcher sich als relativ gegen Gott setze, sei nichts als eine inhaltslose Dublette zu dem Satze, daß der individuelle Geist sich als relativ gegen den absoluten setze. Er sei darum auch auf diesen zweiten Satz zu reduzieren. So habe ich selbst gegen mich argumentiert, aber es ist ein Trug-Einwand:

Ich knüpfe an an den "Gottesbeweis", den ich Ungelehrten "aus demWeltwiderspruch" zu führen pflege. – Der Geist ist sich absolutes Prinzip alles Wirklichen, aber die Wirklichkeit verneint diesen Anspruch, er erweist sich als undurchführbar. In der Erkenntnisaufgabe: Das System verfällt immer wieder dem Gericht der Geschichte. Die Erkenntnis ist unvollendbar. Das absolute Bei-sich des Geistes bleibt ein Traum. Dein System verfällt diesem Gericht ebenso gut wie das Hegels. Denn auch das Mittel, diesem Gericht ins Auge zu blicken, und das Wissen, um es zum Grundparadox des Systems zu machen, macht nicht unsterblich. Wider den Tod ist kein Kraut. In Natur und Geschichte: Der Geist macht sich nicht zum Herrn der Welt. Er ringt um seine Herrschaft, und dabei hat’s sein Bewenden. Das brauch ich Dir mit Deinem eschatologischen Kulturpessimissmus nicht erst zu beweisen. Prinzipiell: Dem Geiste ist in dem, was er als sein Wesen erkennt, in sich selbst widersprochen. Er ist sich Identität, Subjekt–Objektivität in reiner Einheit, und diese Identität ist doch das Jenseits seiner. Er ist sich mit dem unendlichen Widerspruch gegen sein eigenes Wesen behaftet. Und muß schließlich dafür noch dankbar sein. Denn die reine Identität ist ihm nach Hegel die Nacht, in der alle Kühe schwarz sind. Dadurch, daß er sich in den Widerspruch gesetzt findet, kommt er| erst zu einem Inhalt.--- Darum kann das System nicht anfangen: der Geist ist, sondern allein:es ist der Geist und sein Widerspruch. Genauer: der Geist, und im Geist der Widerspruch. Ich würde mich getrauen, an jedem beliebigen Philosophen das nachzuweisen. Hegel lässt das Absolute "sich entlassen". Du kennst die Kritik, die sich gegen diesen wunderlichen Akt gerichtet hat. Ich glaube, jeder Versuch, den Geist zum Prinzip seines eigenen Widerspruchs zu machen, scheitert notwendig. Es gibt nur eine ehrliche Möglichkeit, dem Dualismus (der übrigens durch das bestehende Verhältnis von Geist und Widerspruch seinerseits widerlegt würde) auszuweichen, und das ist der Gottesgedanke. Man muss sagen: Geist und Widerspruch sind das von Gott gesetzte. Genauer: Gott ist der den Geist als in Widerspruch mit sich selbst Setzende. Daran, daß er im Widerspruch mit sich ist, erkennt sich der Geist nicht als sich setzend schlechthin, sondern als gesetztes sich Setzendes. Der Idealismus hat recht, – aber als Philosophie der Phainomena. Jenseits seiner steht noch der Urakt der Schöpfung. Ich würde die Schöpfung ebenso, wie die christliche Theologie es tut, beschreiben, nur ist mir das Erschaffene nicht die reale Welt, sondern die Welt des Geistes.- Ich habe noch immer gefunden, dass dieser Gottesbeweis leicht verstanden und gut gefasst wird, wenn man ihn in der richtigen Weise an die Menschen heranbringt. Wir sind nicht von uns selber her, wir hängen nicht als selige Kugeln in der Luft. Dieses "WIR" aber gilt nicht bloß von uns als Individuen, wir empfinden, wenn wir solche Sätze aussprechen, vielmehr etwas durchaus Ueberindividuelles – so geht es uns als Geist, und allem Geist, dem Geist. – Nur noch eins: den Ausdruck"Gottesbeweis" wirst Du cum grano salis nehmen. Der Gottesgedanke ist dabei nichts logisch Erschlossenes, – Gott sei dank nicht. Er ist die Synthesis zu einem gegebenen Widerstreit von Thesis und Antithesis, und jede Synthesis will geschaut sein. Niemand aber wird sie schauen, dem nicht die Gottesahnung, von der ich im vorigen Briefe soviel sprach, aufgegangen ist oder eben aufgeht, wenn ich ihm vom Weltwiderspruch und von dem Jenseits des Geistes, auf das er hinweist, spreche.

So glaube ich Dir gezeigt zu haben, daß es für mich keine sinnlose Rede ist, wenn ich den Geist als solchen sich als relativ gegen Gott setzen lasse. Das ist wirklich ein ganz anderer Gedanke, als wenn ich meine individuelle Bedingtheit im Verhältnis zum allgemeinen Geistesleben erkenne.

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Vielleicht wird mein Gedanke durch folgendes noch anschaulicher. Fichte hat erkannt, dass die Fassung des Geistes als des schlechthin sich Setzenden bedingt ist durch die strenge Fassung des Widerspruchs als einer rein negativen Schranke. Das hat ihn bewogen, den Vorsehungsglauben und die Geschichtsphilosophie ganz eigentümlich subjektivistisch zu fasen. Die Geschichte ist ihm nichts als die Tat der sittlich begeisterten Individuen. Alles andere Handeln fällt ihm aus der Geschichte hinaus. Aehnlich konnte er sich ein Walten der Vorsehung im gewöhnlichen Sinn nicht denken. Es gibt keine objektive, jenseits unser waltende Macht, es gibt nur ein Zusammenstimmen alles Handelns, das aus dem Geist geboren ist. Damit vergleiche nun Hegels objektive Geschichtsphilosophie, seinen Gedanken von der List der Vernunft usw. Hegel hat den Widerspruch zu einem positiven Element in der Entwicklung des Geistes gemacht.-- Medicus sieht in Hegels Gedanken den Abfall vom Idealismus. Es ist aber klar, daß Hegel nicht nur der christlichen Anschauungsweise sehr nahe steht, sondern einfach die Tatsachen für sich hat. Die Frage ist nur, ob diese geheimnisvolle positive Bedeutung des Widerspruchs nicht unerklärlich ist, wenn man nicht den Geist als den von Gott in der Schöpfung gesetzten faßt. Jedenfalls dann wird man so urteilen müssen, wenn man die strenge Logik, die Hegel im Geschichtsprozesse zu finden glaubte, preisgibt und dem Geheimnis in der Geschichtsphilosophie die Stelle gibt, die ihm gebührt. Wir können wirklich das, was in der Geschichte geschieht, nicht ganz verstehen. Es ist eine Weisheit da, die über uns geht.---

Eins bin ich Dir noch schuldig: den Nachweis, wie ich mir das religiöse Paradox denn im Konkreten denke. Wie finde ich diejenige Einheit von Supra und Infra, die dadurch, daß beide ein Verhältnis zueinander haben, vorausgesetzt wird? Die Antwort liegt in der Synthesis der Begriffe Offenbarung und Rechtfertigung.

Die Rechtfertigung ist eine Tat des göttlichen Willens, und Gott vollzieht sie dadurch, daß er sich uns offenbart. Beginnende Offenbarung ist beginnende Rechtfertigung, und vollendete Offenbarung ist vollendete Rechtfertigung. – Wenn dem Geist die Gewißheit des "Andern" gegenwärtig wird, er an dem Gedanken des Andern zu vergehen droht und infolgedessen an seiner Gewißheit des Andern wieder irre werden möchte, ohne daß er doch von dem ihm sich Bezeugenden loskommen könnte, – so hilft ihm nur eins: Er sieht eben darin, daß das Andere sich ihm| offenbart, seine Rechtfertigung. Gott zerbricht ihn nicht. ER schenkt sich unserer Ueberzeugung. Er tritt damit mit uns in Gemeinschaft. Er bestätigt uns in dem, was die Wurzel unseres Lebens ist – in unserer Evidenz. Denn gerade in sie tritt er hinein. Von Gott gesetzt sich wissen, d. h. freilich sich als Creatur wissen, als Relatives sich ansehen müssen. Aber Gott wissen, das heisst in den eignen relativen Lebensgrund das Absolute empfangen haben. Gott sagt ja zu uns, aus freiem Erbarmen. – Natürlich ist diese Offenbarung anhebend schon in der Schöpfung. Wo nur creatürlicher Geist ist, da ist Gottesahnung, sei es noch so dunkle und mißverstandene, da ist anhebende Gemeinschaft mit Gott.

Ich beschränke mich auf diese prinzipiellen und formalen Dinge. Ich möchte Dich aber bitten. dass Du nun nach diesem Authentischen Commentar, meinen vorigen Brief (Teil I und II) noch einmal liest. Du kannst aus diesem hier allein meine Religionsphilosophie nicht verstehen. Du mußt auch Geduld mit meiner etwas müden und zerflossenen Darstellung haben und, ehe Du mein Pharao bist, der mir widerspricht,erst einmal mein Aaron sein , der meinem Stammeln nachhilft. Der Brief ist unter grossen äusseren und inneren Hemmungen geschrieben. Ich bin jetzt wohl in der schwersten Zeit meines Lebens. Das bißchen Geisteskraft aber, das ich für die Wissenschaft übrig habe, gehört eigentlich einer kleinen Studie, die ich als Blinder sozusagen, arbeiten muß. Denn ich darf um des kranken Auges willen auch das gesunde nur eine Stunde täglich im ganzen gebrauchen.2] Und ich habe wenig Hilfen im Verhältnis zu meinem Arbeitsbedürfnis.

Ich formuliere das Problem: Die wissenschaftliche Differenz zwischen uns Beruht auf einem Doppelten. 1.) Du wagst es nicht, das von Dir anerkannte Dialektische Verhältnis, das ich beschrieb, theistisch zu verstehen. Du mußt es Dir darum wegerklären vom Standpunkt Deiner Geistesphilosophie aus. Das tust Du mit Hilfe des "Unendlichkeitsbewusstseins". Das allerdings meinem Andern oder Fremden näher steht als das Wertbewusstsein. 2.) Ich fürchte auch eine Differenz im Verständnis des Fremden. Ich habe das Empfinden, daß das, was Du meinst, ästhetischer, stimmungsmäßiger ist als das, was ich meine.Wir müssten uns einmalpraktisch persönlich aussprechen über viele Dinge, die man nicht gut in einen Brief bringen kann. Wenn Du bei Deinem Urlaub über Bonn kommen könntest, so wäre es nicht nur eine Freude für mich, sondern auch gut für unsere Debatte.

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Für das Verstehen nach der religiösen Seite hoffe ich etwas beitragen zu können. In Kürze erscheint ein Vortrag, oder wie man es sonst nennen mag, etwas, was ich in der Klinik diktierte, mit Hilfe einer Vorleserin. "LUTHERS GOTTESANSCHAUUNG", Wenn Du mir Versprichst, es zu lesen, so will ich's Dir, sobald es da ist, schicken. Die Correkturen sind schon erledigt.

Wenn Du bei Deinem Urlaub nach Bremen kommst, so liess auch den kleinen populären Artikel "LIEBE UND PERSOENLICHMEIT", den ich eben Johanna schickte. Er ist eine Auseinandersetzung mit dem Persönlichkeitsideal von Goethe und Nietzsche. Du lernst nichts neues draus, aber Du lernst mich gut daraus kennen.

Nun leb wohl. Ich hoffe, wir kommen zusammen. Du wirst Dich für Deine Kritik an mir am ehesten richtig einstellen, wenn Du mich nicht unter das Schema des Supranaturalismus bringst, das trifft mich nicht. Wohl aber hat bei mir das idealistische System einen realistischen Unterton bekommen. Die idealistische Erkenntnistheorie ist richtig, aber sie hat einen religiösen Realismus zur Geheimen Voraussetzung.

von Herzen Dein treuer
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    Personen:

    Orte:

    Literatur:

    • Otto, Rudolf, Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, Breslau 1917. 
    • Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit, München 1809. 
    • Hirsch, Emanuel, Luthers Gottesanschauung, Göttingen 1918. 
    • Hirsch, Emanuel, Liebe und Persönlichkeit in, in: Der Geisteskampf der Gegenwart, Monatsschrift für christliche Bildung und Weltanschauung, 54. Jg. (1910), Heft 5, Nr. 17, Sp.167-169 1918, 108-110.