|
7. Juli 1918

Lieber Paul,

nun schreibe ich doch zuerst. Mein Büchlein ist soeben erschienen, und da sende ichs Dir gleich. Ich habe das Empfinden, daß Du es nicht als reine "Prophetie" ansehen wirst. Daß Gott kein gegenständliches Sein hat, hat Luther in seiner Weise vortrefflich ausgedrückt. Es ist mir stets verwunderlich, wie sehr er doch auch der streng philosophischen Zergliederung standhält. Ich denke, das wirst Du auch durch meine einfache Darstellung durchfühlen, daß ich das, was ich sage, vor meinem philosophischen Gewissen habe prüfen lassen auf Herz und Nieren. Ich bin gar nicht naiv. Es hat mich einen langen Weg gekostet, das, was ich habe, so klar und einfach zu sehen, wie ich es jetzt kann.

Ich wollte Dir noch eins sagen: Die rechte philosophische Stellung zum Gottesgedanken hat man erst dann, wenn man nicht mehr über Gott, sondern in Gott oder aus Gott spekuliert. D. h. man darf Gott nicht hineinziehen in die dialektische Schaukel des Geistes, wo jeder Gedanke im Wechselverhältnis zu seinem Widerspiel steht, wo es eigentlich nur Verhältnisse gibt, in denen man schwebt. Es ist ein so ungeheurer Ernst um die Paradoxie des Gottesgedankens, daß man entweder in ihm den Gedankengang enden lassen oder ihn in ihm beginnen lassen muß. Man darf nicht wagen wollen, die Brücke über diese Paradoxie, an deren Denken wir zu vergehen drohen, hin und wieder schlagen zu wollen, wie wir es tun, wenn wir versuchen, ihn ins System als Glied hineinzufügen. Sondern wir fangen entweder in dieser Paradoxie als der Voraussetzung an. Dann stehen wir in dem Gedanken des sich uns offenbart habenden Gottes, des Gottes, der jenseits den Weg in uns hineingefunden und uns damit gerechtfertigt hat. Die Erinnerung an die ungeheure Kluft, die hinter uns liegt in der Gotteserkenntnis, gibt dann allem die Feierlichkeit und den Ernst. Oder wir fangen bei uns selber zu denken an, dann stehen uns, wenn wir an Gott kommen, die Gedanken still. Wir erreichen die Grenzen unseres geistigen Seins, ahnen jenseits ihrer unsere ewige Heimat in Gott. Das ist das Unaussprechliche, Überschwengliche. Eben dies Verhältnis des Gottesgedankens zur dialektischen Philosophie meinte ich auch, wenn ich sagte: das idealistische System bekommt auf paradoxe Weise einen realistischen Unterton.

Vielleicht darf ich die Dinge auch auf den Kopf stellen und sagen: Du bist viel eher als ich in Gefahr, Dir Gott zu vergegenständlichen. Du machst – brieflich wenigstens – das Unendlichkeitsbewußtsein zu etwas, womit der Geist spielt. Damit wird es aber verendlicht, vergegenständlicht. Gegenstand sein heißt doch wohl, Moment im Geiste sein. Nur das ist nicht Gegenstand in uns, bei dem es in der Art, wie wir davon reden und denken, zum Ausdruck kommt, daß es nur per paradoxiam in uns ist.

Ob ich in Zungen für Dich rede? Ich glaube nicht. Ich habe seit Deinem Besuch das bestimmte Gefühl, daß wir uns zusammenphilosophieren werden.

Nun leb herzlich wohl. Schreib bald
Dein Emanuel.
    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    Literatur:

    • Hirsch, Emanuel, Luthers Gottesanschauung, Göttingen 1918.