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Bremen , den 17.10.1920

Ihr Brief vom 20. Sept.ember (dazu der vom 25.) hat mich zu einer eingehenden Durcharbeitung meines Entwurfes veranlaßt. Der erste und entscheidende Gesichtspunkt war die Herabdrückung der Zahl der Themata; es ist mir gelungen, durch Weglassung und Zusammenziehung 20 Themata abzustoßen, ohne den Organismus zu verletzen. Eine weitere Verminderung wäre nicht möglich, ohne entweder den Plan zu zerstören oder willkürlich große Lücken zu lassen. Es sind jetzt also 45 Themata.

Bei der Verminderung habe ich nun versucht, die Einwände von Hirsch, die z.um T.eil sehr wertvoll waren, sowie die Bemerkungen des anderen Herrn, die mir dem Sinn des Unternehmens nicht ganz gerecht zu werden scheinen, möglichst weitgehend zu berücksichtigen.

Aus Thema 1 und 4 ist das allgemeine Thema 1 der neuen Reihe geworden. Es scheint mir die Steigerung: Zahl, Raum Zeit, Bewegung gerade sehr wirkungsvoll zu sein. Damit erledigt sich auch der Einwand Wunsch von Hirsch, statt Zeit „Zeit und Ewigkeit“ zu sagen. Das bringt eine Tonverschiebung in das Thema; die Ausführung dachte ich mir durchaus wie er.

Thema 6 ist weggefallen; seine einzelnen Probleme kommen meist noch an anderen Stellen vor. – 8 und 9 sind vertauscht, das Substanzproblem mit dem Energieproblem zusammengeschlossen und ergibt unter der Kassiererschen Formulierung „Substanzbegriff und Funktionsbegriff“ eine unentbehrliche ganz selbständige Problematik.

Thema 10 ist mit 14 zusammengeschlossen; in 13 ist unter 1 die Unsterblichkeitsidee mitgemeint. – Thema 17 ist weggelassen; es gehört zu 16.

Thema 20 ist als Thema 34 unter anderer Formulierung in die Sozialethik eingereiht.

Die theoretische Philosophie ist unverändert geblieben. Sie ist das Kernstück. Nur Thema 30 ist weggelassen, da es in 27 (jetzt 22) ausreichend mitbehandelt wird.

Die Ästhetik ist auf 3 Themata reduciert. Das ist das Mindeste bei dem ungeheuren weltanschaulichen Interesse, das ästhetische Fragen in den letzten Jahren bekommen haben, und das auch buchhändlerisch wichtig ist. Thema 33, 34, 37 sind zusammengeschlossen (jetzt 27); ebenso 35 und 36 (jetzt 28); 38 (jetzt 29) ist erweitert zu einer Philosophie des Schöpferischen überhaupt.

Noch stärker reduciert sind Rechtsphilosophie und Ethik. 39, 40, 45 sind zusammengeschlossen (jetzt 30), ebenso 41 und 43 (jetzt 31). Thema 43 ist von höchster Wichtigkeit und zugleich aktueller Bedeutung; es ist das an Volkshochschulen etc. meist verlangte Thema. In Thema 44 ist die Wirtschaftsethik der Weltreligion [sic!] mitgemeint gewesen und jetzt ausdrücklich hervorgehoben. (jetzt 33)

In der Ethik ist Thema 46 und 51 zu Thema 35 zusammengezogen, ferner 47, 48, 50, 54 zu Thema 36, ferner 49 und 53 zu Thema 37. Dieses Thema ist durchaus kein modernes Diskussionsthema, sondern zu allen Zeiten das konkrete Centralproblem der Ethik gewesen. Auch kommt zu der ungeheuren principiellen die aktuelle und buchhändlerische Bedeutung, aber das Ausschlaggebende ist durchaus die Überwindung des ethischen Formalismus durch das konkrete Hauptproblem der Ethik.

In der Religionsphilosophie sind Thema 55, 56, 57 zu 39 zusammengeschlossen. Ebenso 59 und 60 zu 41. Damit sind auch die Bedenken von Hirsch behoben.

Was die Namen der Bearbeiter betrifft, so sind es erste Vorschläge, die mir unmittelbar zur Hand waren. Hierzu einzelne Bemerkungen. (Die Zahlen nach der neuen Reihe). Zu 10 würde ich Dr. v. Sydow empfehlen, der die ganzen Probleme in einer mir bekannten „Metaphysik und Kultur der Dekadence“ ausführlich gehandelt hat, die jetzt in absehbarer Zeit erscheinen soll.

Dr. Zschimmer (Thema 11) hat eine Philosophie der Technik geschrieben; William Stern eine „differenzielle Psychologie“. Dr. Schmalenbach kommt aus dem George-Kreis und hat Sinn für Gefühlsphilosophie.

Über das Problem der Logik muß ein Husserl-Schüler, im Anschluß an Husserls Logische Untersuchungen, über das Grundproblem der Erkenntnistheorie ein Rickertschüler; am besten natürlich die Meister selbst, wenn sie zu gewinnen wären. – Bruns entstammt der Dialektischen Philosophie. – Thema 24 war als Geschichtsphilosophie gemeint; es kann von Mehlis und auch von Frischeisen-Köhler bearbeitet werden.

Für das Evidenzproblem ist Scheler, Köln sehr geeignet (26); Griesebach, Jena wird als Euckenschülers Verständnis für das Schöpferische haben. Für die Rechtsphilosophie kommt der geistvolle Radbruch oder sein Freund, Privatdozent Heller in Betracht.

Thema 32 würde ich gern Hirsch überlassen, oder falls Hirsch, was mir wichtiger schiene, 42 übernähme, Althaus in Rostock; mir kommt es durchaus nicht auf die Richtung an, sondern darauf, daß die Dinge gut bearbeitet werden. Ich würde es darum ebenso ablehnen müssen, wenn die übrigen rechtsphilosophischen Themata ausschließlich ganz rechts stehenden Persönlichkeiten gegeben würden; ich habe die Vorschläge lediglich nach der Bedeutung der litterarischen Produktion der Betreffenden gemacht. Von Stammler würde ich abraten; er ist reinster Formalist und wiederholt sich in jedem seiner Bücher, wie das allseitige Urteil mir auch immer wieder bestätigt.

Für 36 muß unbedingt Medikus Zürich gewonnen werden; das ist viel wichtiger als für das logische Thema.

Für 45 kommt in erster Linie Hartlaub Mannheim in Betracht, dessen Buch Kunst und Religion sehr bedeutend ist.

Es sind diese Vorschläge durchaus provisorisch gemeint; und ich denke, daß ich noch eine große Menge anderer finde, wenn ich in Berlin bin und die Litteratur durchsehen kann.

Was nun das System betrifft, so kommt mir alles darauf an, daß die Systematik aufrecht erhalten bleibt, d. h. daß der Plan nicht als ein zufälliges Aggregat von Themen heraustritt. Dazu gehört nicht – um dieses gleich zu betonen – der Inhalt der einzelnen Themen. Dieser war von mir nur gedacht als Selbstorientierung und als Orientierung der Autoren über die Problemgebiete, die von andern bearbeitet werden, und die ungefähre Richtung, in der die eigne Arbeit sich bewegen muß, damit das Problemmaterial behandelt wird. Weder die philosophische Richtung, noch die Einteilung, noch gar Lösungen waren damit gemeint, sondern nur eine Mitteilung, welche Problemgebiete in diesem Thema gemeint sind, weiter nichts. In diesem Sinne aber ist jedem Autor eine Orientierung willkommen, und im Sinne des Ganzen nötig. Damit es nicht so erscheint, als ob diese Angaben eine Disposition darstellen sollen, ist es vielleicht gut, die Ziffern durch Gedankenstriche zu ersetzen, und statt Inhalt Problemgebiet zu sagen. Nun bin ich nicht etwa der Meinung, daß diese Inhaltsangaben für die Öffentlichkeit gedruckt werden sollen, sondern ich brauche sie bloß als Plan für mich und die Autoren, und müßte dafür so viele Abzüge haben, als ich Briefe an Autoren zu schreiben hätte, also mindestens 100.

Nicht in den Inhaltsangaben kommt die Systematik grundlegend zum Ausdruck, sondern in der Einteilung und Anordnung der Themata. Ich bin nun der Meinung, daß jedes Heft, das erscheint, den allgemeinen Plan (ohne Inhaltsangaben!) vorn abdruckt; das kann in sehr kleinem Format geschehen, so daß es wenig Platz in Anspruch nimmt. Für diesen Zweck aber wäre die Einteilung in Abteilungen und Reihen unentbehrlich. Hierzu ist nun noch zu bemerken, daß ich statt 4 jetzt 3 Abteilungen habe, um die Kulturphilosophie nicht auseinanderzureißen. Ferner auf Rat des zweiten179 Gelehrten Mathematik und Physik zusammengeschlossen habe.

Ganz unabhängig davon ist nun die Nummerierung; ich bin dabei durchaus Ihrer Meinung, daß dieselbe ganz unabhängig von der Einteilung einfach nach dem Erscheinen vorzunehmen ist. Dann sind wir ganz frei in der Fertigstellung, im Weglassen und Hinzufügen von Themata; außerdem ist es ja nur so möglich, mit den Nummern der schon erschienenen Hefte ins Reine zu kommen.

Es würde dann etwa heißen: „Es ist – ohne Bindung – die Verwirklichung folgenden Planes in Aussicht genommen:“ – I. Abt.eilung – Reihe 1 – (Zahl, Raum, Zeit, etc.) Reihe 2 – u.s.w.

Ich habe über diese systematische Form der Sache mit Führern der Volkshochschulbewegung gesprochen und die Bestätigung erhalten, daß es nur so für sie von Bedeutung wäre, da allein die principielle und systematische Erfassung der Dinge wirklich wertvoll wäre im Gegensatz zu der skeptisch-historicistischen Periode, die hinter uns liegt. Wir wären damit wahrhaft modern.

Falls Ihre Entscheidung in diesem Sinne bejahend ausfiele, läge mir daran, über einige praktische Fragen Auskunft zu erhalten.

Welches würde meine Aufgabe als Herausgeber im einzelnen sein? Ist meine Annahme richtig, daß ich am Ende des Vorworts der einzelnen Hefte als Herausgeber zeichnen würde?

Wie würde meine Arbeit berechnet und vergütet werden? (Da ich finanziell in sehr schwieriger Lage bin, und viel nebenbei verdienen muß, kann ich nur Arbeiten übernehmen, die irgendwie zur Existenz beitragen)

Wie wäre meine Stellung den Autoren gegenüber, z. B. in Bezug auf eventuelle Zurückweisung?

Welches sind die Honorare für die einzelnen Hefte an die Autoren und wieviel Bogen sind höchstens zugelassen?

Für gütige Beantwortung dieser Fragen wäre ich sehr dankbar und erwarte dann Ihre grundsätzliche Entscheidung, nach der ich mich an die Bearbeitung von Heft 22, das System der Wissenschaften, machen will.

Hochachtungsvoll ergebenst
Dr. P. Tillich

Im Falle der Zustimmung bitte ich wieder um 2 Abzüge des neuen Entwurfes.

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    Personen:

    Orte:

    Literatur:

    • Hartlaub, Kunst und Religion. Ein Versuch über die Möglichkeit neuer religiöser Kunst" Das neue Deutschland 9 (1921), 151–158. 
    • Eckart von Sydow, Die Kultur der Dekadenz. Dresden: Sibyllen-Verlag, 1921. 
    • Husserl, Edmund, Logische Untersuchungen. Prolegomena zur reinen Logik. Bd. 1, Halle a.S. 1900.