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Stellingen, d. 1. I. 08.

Liebes Paulchen!

Wenn ich mich über einen Brief freue, pflege ich ihn möglichst schnell zu beantworten. Also ich danke Dir vielmals. Also vom Reisen über Berlin ist nicht die Rede, hingegen fahre ich über Hildesheim und treffe dort mit H. Vethake zusammen, den ich auf diese vornehme Weise zu genießen denke. Zwar kenne ich Hildesheim vom vorigen Ostern her (Witte, Balke), aber das Nest ist so begabt, wo jedes Gebaute der Ausdruck der eigenen inneren Überzeugung usw. (s. Dogmatik Witte) Was Du schriebst: ist es deshalb weil Du glaubst, daß ich es besonders nötig habe, ich glaube es ist so daß Du über Halle allmählich als über etwas außerhalb Dir seiendes nachdenkst, und da manche Fehler entdeckst, die das ganze Bild trüben wollen. Merkwürdigerweise bist Du nicht der einzige, es gibt viele solche Leute in Ha, die immer deutlicher sehen, daß bei allem vielen, was sich der Kosten schon lohnt, das man aus Ha mitnimmt, man abgeschnitten lebt von der europäischen Kultur, ich meine wenn wir uns mit China vergleichen, das auch eine ausgeprägte Kultur hat aber jede Produktivität ist verloren. Doch ich will Deinen Brief nicht wiederkäuen. Der Boden den Du bei mir bereiten willst, ist schon da, nicht nur im Urteil über die Verbindung so auch bei mir ganz persönlich. Gerade im letzten 1/4 Jahr, wo ich der Zeit u. der Ruhe nach i. e. quantitativ genug zurRuhe Arbeit kam, habe ich gemerkt daß man weder weiß, was, wo, wie man arbeiten soll.| Will man N.T. arbeiten, so merkt man daß man das N.T. überhaupt noch nicht gelesen hat. Bei Loofs höre ich DG, wenn man bloß Ahnung von K.G. u. Gesch. d. Phil. hätte und so geht geht die Litanei weiter. Wie ein richtiger Pennäler kommt man sich vor. Wenn man Hans Balke in dem Punkte fragt, so kommt gewöhnlich der Trost: Du arbeitest ja den ganzen Nachmittag. Wenn ich in meinen zukünftigen Semestern sollte (Irreal i. d. höchsten Potenz) je einen Lbfx zeugen, so würde ich es wahrscheinlich ihm zur Bedingung machen, daß er vernünftiger umgeht mit sr. Zeit. Von meinem eignen Lbb. habe ich das leider nicht gelernt, einerseits ss. Alters wegen, andrerseits der andern Fakultät wegen 3) weil er überhaupt ganz anders die Sache anfaßt d.h. er hat eine zu gründliche Vorbildung, um zu sehen, wo ich mit meinen unerhört geringen Voraussetzungen anfangen muß. Ob ich diesen Zustand in Ha noch überwinde, ist mir mehr als fraglich, die Luft in Ha ist dazu nicht gut. Vielleicht macht da was die berühmte Berliner Luft, "Berliner" unterstrichen. Auf Wiedersehen im nächsten Semester! Das Verhältnis der Punkte von Tübingen u. Berlin bewegt sich im Quadrat d. Entfernung des Semesterschlusses immer schneller von 100:1 bis 1:100. Also wenn ich im nächsten Sem. nach Berlin komme? In Ha habe ich für meine Dekanatsprüfungen (14 Tage wissenschaftlicher !! Arbeit) die nötige materielle Unterstützung genossen, so daß ich recht gut auskam. In Berlin fällt manches fort, oder gibt es in Be. auch solche Institute. Wenn Du darüber etwas weißt, so kannst Du mir das mal schreiben Bedingungen usw? Ob ich deswegen aktiv werden kann ist die Frage. Voraussichtl. werde ich es wieder in Kiel wo ich (me miserum!) landen muß. Es ist mir eigentlich nicht gerade angenehm im S.8. nach Be. zu gehen| aber von Ha muß ich ich fort, daß ist mir außerordentlich klar und in Tü. glaube ich bekommt man nicht viel Neues, womit ich nicht Schlatter meine, aber überhaupt. China!! Was du auf der letzten Seite Deines Briefs sagst, war mir eigentlich neu, s. nur Ausdruck dafür, wofür man einen Begriff suchte: daß man auch für sein persönlichstes Leben als Voraussetzung Arbeit, die ihr Recht hat, haben muß. Aber das Wie?

Tatsachen: Eigentlich habe ich bis jetzt nur über Tatsachen geschrieben. Aus Halle wirst du voraussichtlich neulich von Hans Balke genug erfahren haben, er beurteilt im allgemeinen wohl günstiger. Der Kerl als Konhaus ist rührend. Sonst ist alles was ich berichten könnte nur, daß endlich Eis ist und ich meine langen Beine kräftig um die Gegend schwenke auf dem Teich des hiesigen Krüppelheims, wo außer mir diejenigen Krüppel laufen die es irgendwie noch darstellen können. Die andern bewegen sich gegenseitig u. eigenhändig auf Schlitten auf dem Eise herum. Es ist überhaupt erstaunlich, mit welcher Lebenslust all die kleinen elenden Würmer rumlaufen, sich kräftig verhauen, wettlaufen, - humpeln, schreien, Soldaten spielen u. Schlittschuh laufen. Dabei müssen sie kräftig arbeiten. Da haben wir einen Menschen von ca. 16 Jahren, der am ganzen Körper zittert (Vater: Alkohol) der so energisch ist und sich seinen einen fliegenden Arm festbinden läßt, was er selbst erfunden hat, bloß um arbeiten zu können. Daß diesem Extrem auch solche nach der andern Seite entgegenstehen ist klar, aber im allgemeinen sind die Kinder so drin in ihrer Arbeit u. arbeiten auch wirklich so begabte Sachen daß es erstaunlich ist, nur weil sie gegenseitig ihr Leiden gar| nicht mehr empfinden, wie sie es zu Hause müßten. Arbeit infolge von Gemeinschaft?

Die Pointe meiner geheimnisvollen Frankfurter Reise: Verlobigung meiner ältesten Schwester, was jetzt in den Weihnachtstagen der Gegenstand war, um den sich alles konzentrierte, u. zwar so daß man nach all den Feiern sich wieder nach etwas anderem sehnt. Abgesehen von dieser Eigenschaft des Verursachers vieler Feiern, wie er sein soll ein "Techniker" - der diesbezügl. Bräutigam nämlich. Wenn Du Dich dazu aufschwingen kannst, so schreibe mal wieder u. komme im Semester mal nach Halle, wo die Braven gedeihen.

Grüß die Bande! Vivas, crescas, floreas!
Herzlich Dein Gysbert.
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