Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich verm. April 1933

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Liebste Hannah!1]

Heut Vormittag hatte ich einen Brief an Dich angefangen. Da kam Dein großer Brief,2] den mir M. L. zum Mittagessen mit Frede, Schreiner3] und Elisabeth Hanau in die Stadt mitbrachte. Nun ist wieder alles anders und ich muß von vorn anfangen. Ich habe jeden Tag an Dich geschrieben und immer gesagt, wie viele Briefe von Dir angekommen sind. Ich versuche auch, auf alles zu antworten, so weit ich es verstanden habe; doch lagen manchmal Unklarheiten vor.

Also zunächst zu Deinem Brief: Die Besprechung von Zurhellen-Pfleiderer soll ruhig kommen. Sie kann auf keinen Fall etwas schaden. – Was Emmy Frey betrifft, so haben wir uns um H. Schafft sehr angefreundet. Im Übrigen ist sie so radikal gebunden, wie nur selten jemand. Ihre Briefe bezogen sich auf Sorgen meinet- und Hermanns wegen. Eine Revanche wäre hier wirklich nicht angebracht gewesen. Aber auch sonst freue ich mich, daß Du nicht in Mannheim warst. Denn dieses wäre mir schwer geworden. Als heut | bei der ersten Post kein Brief von Dir da war, war ich ganz traurig und verlassen. Schreib immer, wie ich unbedingt täglich schreibe.

Sobald Du den Brief vom Dekan hast, gehe damit zu Kurt4] und Julia5] und erkundige dich 1) Wer sonst noch etwas bekommen hat. 2) Wie wir gemeinsam reagieren sollen. Läßt sich das nicht feststellen, so muß ich kommen, wenn auch nur für einen Tag, Anfang nächster Woche. Denn es kommt alles darauf an, daß dieses richtig gemacht wird, wenn ich nicht gleich ganz heraus will. Jedenfalls werde ich, wenn ich eine solche Aufforderung habe, sofort nachdem du geschrieben hast, ins Ministerium gehen. Ich habe dann einen dienstlichen Anlaß.

Gestern war ich bei Arnold. Seine Hochschule6] ist für Tage geschlossen. Er hat sein Urlaubsgesuch eingereicht und nimmt einen gleichzeitig eingetroffenen Ruf nach Amerika an. Doris ist traurig, aber tapfer. Gleichzeitig war Fritz Berber da, ein Jurist | und Barth-Schüler, dem ich den Brief von Barth gab und der ihn als Ausdruck seiner Fremdheit gegenüber der Situation empfand. Beide rieten mir zu New York, durch Niebuhr, den Übersetzer meines Buches. Natürlich ist das nicht so einfach, da die Verständigung so schwer ist. Doch will ich es versuchen. Ein Jahr N. Y. wäre nicht schlecht. Ich lerne weiter englisch. – Vorgestern war ich mit Goma und Frau zusammen. Wir haben ihre Zukunft besprochen, die hoffnungslos ist, da Goma Jude ist. Er wird nach Spanien gehen, zunächst zu Eva, dann weiter. – Günther arbeitet an einem Gesuch für seine Zulassung als Anwalt, worin er alle seine nationalen Heldentaten aufzählen muß. Mich durchläuft es heiß vor Scham bei diesen Dingen. –

Ich kann immer bei Elisabeth wohnen und will im Augenblick nicht das Centrum der Entscheidungen verlassen. Zu erwägen wäre, falls ich nicht nach Frankfurt muß, ob Du nicht mit einem Firmen-Auto hierher kommen sollst; doch ist vor Sonnabend nichts zu sagen. Bis jetzt hängt für mich alles von Deinen | Briefen ab. Wie gehts Erdmuthe? Ich habe die letzten Nächte sehr gut geschlafen. Bei Elisabeth kam ich für 2M täglich unbegrenzt bleiben. Sie ist glücklich und rührend zu mir.

Jetzt muss ich los! Leb wohl, liebe süße Hannah! Morgen mehr! Denk lieb an mich. Du hilfst mir damit zu allem!
Dein Paul
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    • Tillich, Paul. The Religious Situation, transl. by H. Richard Niebuhr (dt. Die religiöse Lage der Gegenwart), New York 1932.