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zzt. Bergli-Oberrieden, den 2.April 1933.

Lieber Herr Tillich!

Besten Dank für Ihren Brief vom 29. März. Er war in den Tat geeignet, mein "Starrsein" hinsichtlich Ihrer "Ideologie" aufzulockern. Ich habe, als ich in meinem Brief3] an K. L. S. jene Wendung brachte, nicht gewußt, dass die S.P.D. als solche "nicht wünscht, dass ihre Beamten ihre Beamtenqualität der Zugehörigkeit zur Partei opfern". Und ich habe ferner und vor allem nicht bedacht, was ich freilich hätte bedenken sollen: dass für Sie die Fragestellung in besten Treuen grundsätzlich eine ganz andere sein muss als für mich. Ich nehme also zur Kenntnis, dass die betreffende "Ideologie" nicht nur Ihre private, sondern auch die führender Stellen, vielleicht aller führenden Stellen der S.P.D. ist. Und es ist mir deutlich, daß Sie das innere Recht dazu haben, sich diese Ideologie auch persönlich zu eigen zu machen. Es dient aber vielleicht der Klärung, wenn ich Ihnen ausdrücklich sage, dass ich und warum ich das für meine Person nicht tun kann.

Die Zugehörigkeit zur S.P.D. bedeutet für mich nicht das Bekenntnis zur Idee und Weltanschauung des Sozialismus. Ich kann mich nach meiner Auffassung von der Exklusivität des christlichen Glaubensbekenntnisses zu keiner Idee noch Weltanschauung in einem ernsthaften Sinn "bekennen". So habe ich auch zum "Marxismus" als solchem kein innerlich notwendiges Verhältnis. Ich wüßte nicht, in welcher Weise er für mich als Lehrer der Theologie jemals Inhalt und Gegenstand meiner beruflichen Tätigkeit werden könnte. Er ist mir in dieser Hinsicht gleich nah und gleich fern wie etwa der heute herrschende Nationalismus. Ich kann ihm als Idee und Weltanschauung weder Furcht noch Liebe noch Vertrauen entgegenbringen.

Die Zugehörigkeit zur S.P.D. bedeutet für mich schlechterdings eine praktische politische Entscheidung. Vor die verschiedenen Möglichkeiten gestellt, die der Mensch in dieser Hinsicht hat, halte ich es rebus hic et nunc sie stantibus für richtig, die Partei 1. der Arbeiterklasse, 2. der Demokratie, 3. des Nicht-Militarismus und 4. einer bewußten, aber verständigen Bejahung des deutschen Volkes und Staates zu ergreifen. Diese Erfordernisse einer gesunden Politik sehe ich in der SPD und nur in ihr erfüllt. Darum wähle ich diese Partei. Und weil ich die Verantwortung für die Existenz dieser Partei nicht anderen überlassen, sondern selber mitübernehmen will, darum bin ich ihr Mitglied. Ich könnte diese Entscheidung grundsätzlich auch in noch aktiveren Formen betätigen. Bis jetzt meinte ich, dazu weder das Zeug noch die Zeit noch den Ruf zu haben, und ich vermute bestimmt, dass es auch in Zukunft dabei bleiben wird. Ich könnte mich freilich auch nicht darauf festlegen, dass es durchaus dabei bleiben muss.

Damit wird einmal ein ev. sich ereignender Angriff auf die akademische Lehrfreiheit für mich eine andere Bedeutung haben als für Sie. Ein Verbot des Bekenntnisses zur sozialistischen Idee im Rahmen meiner Lehrtätigkeit wäre mir gegenüber sinnlos, weil ich es nie übertreten habe und nach meiner grundsätzlichen Voraussetzung überhaupt nicht übertre-| ten kann. Treffen könnte mich nur ein Verbot, die sozialistische Idee an der Stelle, wo auch ich sie zur Sprache zu bringen habe (in der theologischen Ethik) in aller Freiheit, d. h. ohne Rücksicht darauf, dass der gegenwärtige Staat der nationalistischen Idee den Vorzug gibt, bestimmt allein durch das theologische Thema, in Erwägung zu ziehen und in ihrer relativen kritischen Bedeutung zur Geltung zu bringen. Wenn man mir dies untersagen sollte, müsste ich mich widersetzen und die Konsequenzen auf mich nehmen. Wogegen, noch einmal: die Frage, ob ich den Sozialismus als Idee und Weltanschauung vortragen dürfe oder nicht, für mich gegenstandslos ist und gerade kein punctum confessionis sein kann.

Umgekehrt ist nun gerade die Freiheit zur rein politischen Entscheidung, Stellungnahme und ev. Betätigung der Punkt, auf den für mich Alles ankommt. Diese Freiheit bezw. der bestimmte Gebrauch, den ich von ihr mache, indem ich mich vor Gleich- und Andersdenkenden, vor meinen Kollegen und Studenten, vor den Männern der Kirche und vor meinen theologischen Lesern und vor wem immer, den es interessieren mag, zur S.P.D. stelle und mich als S.P.D.-Mann ansprechen lasse – das gehört (im Unterschied zur Idee des Sozialismus!) zu meiner Existenz, und wer mich so nicht haben will, der kann mich überhaupt nicht haben. Ich könnte mir selbst und Anderen auch als Theologe nicht mehr glaubwürdig sein, wenn ich mir in dieser bürgerlichen Beziehung eine andere Entscheidung aufdrängen ließe als diese, die meiner Überzeugung in politischer Hinsicht entspricht. Sie verstehen mich: gerade weil ich im Unterschied zu Ihnen keine Rückzugslinie zu einem esoterischen Sozialismus habe! Der meinige ist nur exoterisch, und gerade darum kann ich auf den exoterischen Sozialismus, d. h. konkret auf das Parteibuch nicht verzichten. Die Sache würde natürlich gegenstandslos, wenn die S.P.D. aufgelöst würde oder sich selbst auflöste oder wenn sie mich, wie es akademischen Parteigenossen in Thüringen widerfahren sein soll, um mir Konflikte zu ersparen, fürsorglich "ausschließen" sollte. Dann ist mir eben diese Entscheidung physisch unmöglich gemacht. Solange das nicht geschehen ist, einem bloßen Rat der Partei und vor allem einer Forderung des heutigen Staates gegenüber werde ich bei meiner Entscheidung bleiben müssen. Wenn ich dem preußischen Staat, der mich 1921 gerufen hat, ohne daß ich ein Anderer geworden wäre, 1933 nicht mehr gefalle, dann mag er mich eben 1933 wegschicken. Er kann viel, dieser Staat, er kann z. B. nach Gutdünken pensionieren und absetzen. Er kann aber nicht Alles, er kann z. B. nicht einen freien Mann zwingen, seinetwegen ein anderer zu werden. Ich sage das ohne Heldentrotz und Märtyrerlust. Es geht eben nicht.

Nebenan, aber nur nebenan, stelle ich wohl auch die politische Erwägung an, dass es wünschenswert sein könnte, wenn der heutige Staat vor den Augen des In- und Auslandes an einem freien Mann, der einen gewissen Namen hat, eben diese Erfahrung machen müsste, dass er zwar viel, aber nicht Alles kann. Ich will Ihnen sogar gestehen, dass ich wohl wünschte, es möchte in Deutschland noch einige andere freie Männer mit einigem Namen geben, die so dran wären, daß sie in Bezug auf dieses arme, kleine Parteibuch dabei bleiben müssten: es geht eben nicht. Aber da wird nun jeder seiner Voraussetzung entsprechend handeln müssen. Und ich sehe vollkommen ein, dass Ihre Voraussetzung Sie in dieser Sache zu einem anderen Ergebnis führen muss. Ich werde also an Ihnen nach wie vor nur das tadeln, dass Ihre Voraussetzung nicht auch in einer ordentlichen Theologie (ohne esoterischen Sozialismus!) besteht.

Mit freundlichem Gruß Ihr
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