Brief von Paul Tillich an Johannes Tillich vom 13. März 1918

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Der editierte Text

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D. 13. III. 18.
Lieber a!

Noch immer sind wir in Erwartung und Spannung, die schon hier und da zur Nervosität wird. Bei Euch ist es ebenso; denn es handelt sich zweifellos um die größte aller bisherigen Entscheidungen; wenn sie da ist, denk an mich. – Ich wohne in einer Bauernstube auf einem kleinen Dorf, Mann, Frau, 2 Kinder; Felder und Berge glänzen in Frühlingssonne, so schön, so leuchtend wie nur je. Aber keine Frühlingsstimmung kann durchbrechen; der Druck des Kommenden lastet zu schwer. – Sonntags mache ich weite Predigtreisen in die umliegenden Dörfer, altbekannte schöne Gegend, wo wir schon vor 2 Jahren mal waren. In meine erste Predigt hatte ich meinen ganzen Zorn über den Streik1 geschüttet, wenn auch nur in wenigen scharf geschliffenen Sätzen. Sie gefiel dem b (Aufklärung etc.) so, daß ein Bericht sogar bis | ans Armee-Oberkommando unserer Armee ging – eine vom religiösen Standpunkt vielleicht nicht ganz unbedenkliche Ehre! – Alltags arbeite ich viel. Ich fühle mich jetzt schon in der modernen Philosophie heimisch; sie bewegt sich in ihrem c-d und deskriptiv-psychologischen Flügel mit Schnelligkeit auf e zu, auch da, wo sein Name noch verpönt ist. – Um selbständig zu arbeiten, muß ich eine Bibliothek haben. Darum denke ich nun doch ernsthaft an Rückkehr. Es wäre mir lieb, wenn ich wüßte, was etwa Juni-Juli in f in Betracht käme. Schreib mir mal darüber! – – – Nun ziehst Du bald aus unserer Wohnung aus; ich habe damals gar nicht richtig Abschied genommen{,} vielleicht besser so! Wer wird Nachfolger? Hoffentlich hast Du nicht zu viel Ärger zum Schluß!

Viele herzliche Grüße!
Dein treuer g.

Fußnoten, Anmerkungen

1Die Januarstreiks von 1918 im Deutschen Reich waren Teil einer breiteren Bewegung von Massenstreiks während des Ersten Weltkriegs. Sie spiegelten den wachsenden Unmut der Arbeiter über die ungünstigen Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie über die anhaltende Kriegsführung wider. Die Forderungen nach Verbesserungen in Lebensqualität, dem Kriegsende und einer demokratischeren Verfassung des Kaiserreichs waren zentrale Anliegen dieser Streiks.

Register

aTillich, Johannes Oskar
bUnteroffizier
cKant, Immanuel
dFichte, Johann Gottlieb
eHegel, Georg Wilhelm Friedrich
fBerlin
gTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambdridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974, bMS 649/193(16)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
unbekannt - unbekannt
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Brief von Paul Tillich an Johannes Tillich vom 9. Januar 1918
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Brief von Paul Tillich an Johannes Tillich vom 2. April 1918

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Johannes Tillich vom 13. März 1918, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00564.html, Zugriff am ????.

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