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D. 13.III.18.

Lieber Papa!

Noch immer sind wir in Erwartung und Spannung, die schon hier und da zur Nervosität wird. Bei Euch ist es ebenso; denn es handelt sich zweifellos um die größte aller bisherigen Entscheidungen; wenn sie da ist, denk an mich. – Ich wohne in einer Bauernstube auf einem kleinen Dorf, Mann, Frau, 2 Kinder; Felder und Berge glänzen in Frühlingssonne, so schön, so leuchtend wie nur je. Aber keine Frühlingsstimmung kann durchbrechen; der Druck des Kommenden lastet zu schwer. – Sonntags mache ich weite Predigtreisen in die umliegenden Dörfer, altbekannte schöne Gegend, wo wir schon vor 2 Jahren mal waren. In meine erste Predigt hatte ich meinen ganzen Zorn über den Streik1] geschüttet, wenn auch nur in wenigen scharf geschliffenen Sätzen. Sie gefiel dem Unterrichtsoffizier (Aufklärung etc.) so, daß ein Bericht sogar bis | ans Armee-Oberkommando unserer Armee ging – eine vom religiösen Standpunkt vielleicht nicht ganz unbedenkliche Ehre! – Alltags arbeite ich viel. Ich fühle mich jetzt schon in der modernen Philosophie heimisch; sie bewegt sich in ihrem Kantisch-Fichteschen und deskriptiv-psychologischen Flügel mit Schnelligkeit auf Hegel zu, auch da, wo sein Name noch verpönt ist. – Um selbständig zu arbeiten, muß ich eine Bibliothek haben. Darum denke ich nun doch ernsthaft an Rückkehr. Es wäre mir lieb, wenn ich wüßte, was etwa Juni-Juli in Berlin in Betracht käme. Schreib mir mal darüber! – – – Nun ziehst Du bald aus unserer Wohnung aus; ich habe damals gar nicht richtig Abschied genommen, vielleicht besser so! Wer wird Nachfolger? Hoffentlich hast Du nicht zu viel Ärger zum Schluß!

Viele herzliche Grüße! Dein treuer .
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