Der editierte Text

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Mein lieber Tillich (Details anzeigen)!

Ich erinnere mich noch deutlich, wie Mitte Oktober 1918, als der hohe Divis. Stab-{Kochloch zwo} – im fürstlichen Kasino in Han-les-Juvigny (Details anzeigen) – alias Sch{¿}fall, wie noch nie im ganzen Kriege gehabt – zum Abendbrot versammelt war, der Postbote gleichzeitig 4 Briefe2 von Tillich (Details anzeigen) brachte; auf diese Ihre Zeilen möchte ich heute endlich antworten. Welche Ereignisse trennen uns von Oktober! Schrecklich daran zu denken! Sie, lieber T. (Details anzeigen), werden zunächst als konservativ-sozialistisch gemischter moderner Jüngling mit vollen Segeln in die Re| volution hinein gesegelt sein? Und {jetzt}? Ich vermute, daß auch Sie bei den „Erfolgen“ der Revolution3 ein Katzenjammer befallen hat; ist's richtig? Und wir sind noch nicht am Ende, noch nicht auf dem Boden des Bechers; ich sehe immer noch schwarz; u. denke bei alledem häufig an Bonins (Details anzeigen) Worte bei den Frühritten, die sich auf die Folgen des Nachlassens der Manneszuchts [sic!] bezogen.

Ich bedauer auch, daß Sie unter diesen Umständen in Bln. (Details anzeigen) blieben – bleiben mußten; ich hätte sie [sic!] gern in Halle (Details anzeigen) an d. Universität wirken sehen; wie anders hatten wir uns Ihr erstes Kolleg in H. (Details anzeigen) vorge| stellt!

Ich bin – nach d. Demobilmachung – noch frei zurückgekehrt. Auch ich muß hier unter der roten Fahne arbeiten; immerhin ist es noch erträglich, da hier d. Mehrheitssozialisten4 herrschen. Bei den Stadts Wahlen am lezten [sic!] Sonntag sind 22 Rote zu 8 bürgerl. gewählt.

Ich habe hier nur ein Teil meines alten d{¿¿¿} bekommen; neu den Vorsitz im Arbeitsamt, der mit Arbeitsnachweis & Arbeitlosensuchen [sic!] je nur viel Ärger & Unfreude bereitet; dabei gibt's viel zu tun, sodaß auch die Abende kaum mir gehören. Das Arbeiten ist so unbefriedigend, da man nicht| weiß, wofür man arbeitet; man wurstelt so fort von e Tag z. anderen, von dem man nicht weiß, was er bringt. Streik überall, in Mgdbg (Details anzeigen); wird er hierher übergreifen? {¿¿¿}ten sollen Erhöhung d. Unterstützung verlangen wollen?! –

Ruhe bietet uns das eigene Heim; das werden Sie am besten beurteilen können! Heut vor 8 Tagen war Sommer (Details anzeigen)5 bei mir; er ist jetzt wieder in Mgdbg (Details anzeigen) b. d. Eis.bahn Direktion; es war ein {stiller}, gemütlicher Abend so ganz nach meinem Geschmack. Letzten Sonntag war ich bei Obstlt v Rosenthal (Details anzeigen) in Mgdbg (Details anzeigen) zum Kaffee, wo ich seine reizende Frau (Details anzeigen) kennen lernte; die Stunden| vergingen im Flug. Vor 3 Wochen war ich in H. (Details anzeigen), um Sattelmacher (Details anzeigen)6 die Hand zum Abschied zu drückend; ob ich den „angehenden Justizminister“ jemals in H. (Details anzeigen) wiedersehen werde? Es sollte mir leid tun, wenn unser im Kriege geknüpftes Band so bald gelockert werden sollte. Sie werden ihn ja sehen oder schon gesehen haben. Aus Bln. (Details anzeigen) erhielt ich gestern eine gemeinsame Karte von Berg (Details anzeigen) & Mayer (Details anzeigen).

Wie geht's Ihnen körperlich?! Was treiben Sie? Wie geht's der Frau-Dr (Details anzeigen)? Vergessen Sie nicht ganz Ihren Sie herzlich grüßenden alten Kriegskameraden

Arthur Ebermann> (Details anzeigen)

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Fußnoten, Anmerkungen

1Dieser Brief ist auf den 26. Februar datiert, enthält aber keine Jahresangabe. Arthur Ebermann (Details anzeigen) antwortet mit diesem Brief auf Briefe, die Tillich (Details anzeigen) ihm im Oktober 1918 geschrieben hat, daher und wegen des Bezugs auf Paul Sattelmachers (Details anzeigen) Berufung in das Preußische Justizministerium handelt es sich wahrscheinlich um das Jahr 1919.
2Liegen nicht vor.
3Möglicherweise eine Anspielung auf den „Roten Terror“ gegen Ende der Oktoberrevolution in Russland (Details anzeigen).
4Gemeint ist die Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands, eine inoffizielle Bezeichnung eines Teils der SPD zwischen 1917 und 1922 zur Abgrenzung von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei.
5Wahrscheinlich handelt es sich um René Sommer. Er war von 1908 – 1921 Präsident der Eisenbahndirektion in Magdeburg (Details anzeigen)
6Wahrscheinlich handelt es sich um Paul Sattelmacher. Er war Richter in Halle (Details anzeigen) und wurde 1919 in das Preußische Justizministerium berufen.

Register

aSchönebeck (Elbe)
bEbermann, Arthur
cTillich, Paul
dSattelmacher, Paul
eTillich, Paul
fHan-lès-Juvigny
gTillich, Paul
hTillich, Paul
iRussland
jBonin, Henning von
kBerlin
lHalle (Saale)
mHalle (Saale)
nMagdeburg
oSommer, René
pMagdeburg
qMagdeburg
rRosenthal, ??? v.
sMagdeburg
tRosenthal, ??? v.
uHalle (Saale)
vSattelmacher, Paul
wHalle (Saale)
xHalle (Saale)
yBerlin
zBerg, ???
aaMeyer, ???
abTillich, Margarete
acEbermann, Arthur

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974., bMS 649/138(17)
Typ

Brief, eigenhändig.

Postweg
Schönebeck - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Arthur Ebermann an Paul Tillich von August 1918

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Arthur Ebermann an Paul Tillich 26. Februar 1919, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00563.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

{{Internetquelle |url=https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00563.html |titel=Brief von Arthur Ebermann an Paul Tillich 26. Februar 1919 |werk=Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition. |hrsg=Christian Danz, Friedrich Wilhelm Graf |sprache=de | datum= 26.02.1919 |abruf=???? }}
L00563.pdf