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D. 14. Okt. 1917.1]

Liebe Maria!

Nun war ich wieder mal 5 Tage in Berlin, und da es gänzlich unmöglich war, Dich zu sehen (Hochzeitsgesellschaft!)2] so will ich diese unschuldige Schuld dadurch abtragen, daß ich Dir schreibe, und Dir damit zugleich beweisen, daß ich an Dich und über Dich denke; auch über Dich rede. Dox hat mir auf meine Frage erzählt; daß Du einen Brief bekommen hättest, der Dich erfreut hat. Das war mir lieb zu hören und ich wünsche Dir, daß es nicht der einzige bleiben möge. – Die Hochzeitstage waren schön. Etwas Helles in der allgemeinen Dunkelheit. Dox und Sydow habe ich je einmal gesehen; nach langer Zeit zum ersten Mal wieder Dürselens. Die drei Mädels3] haben in der Lebensanschauung manche Ähnlichkeit mit Dir. (Nicht davon reden!) „Berliner Pastorenkreise“ wie wir alle; es ist etwas Absunderliches um diese Kreise; jedenfalls werden keine Stützen der Kirche daraus hervorgehen. Ich bin eigentlich mit dem Eindruck eines richtigen Desasters weggefahren. Nietzsche und die Sexualität, das sind die beiden | Elemente, die ich überall wiederfinde. Sehr, sehr mannigfaltig natürlich und in höchst interessanten Variationen. Die Bayrische Pastorenfamilie, in die Elisabeth hineingeheiratet hat, kam der ganzen jüngeren Generation in dem einfachen Ausdruck christlicher Frömmigkeit komisch vor... das ist die Lage! Es gibt noch andere Symptome, über die ich nicht reden will und kann, die andere Seite der Sache betreffend; es gibt auch reine theologische Desasters, alles in allem immer dasselbe! Und hier im Felde! An der Theodicee bricht alles zusammen, was denken zu können glaubt! Wo sollen wir hinkommen? Und das sind doch nicht die Schlechtesten, die so denken und fühlen! Greti und Dox wollen, daß ich Philosoph werde! Was sagst Du dazu; Mir kommt es wie Flucht vor und ich will nicht auskneifen, aber habe ich noch ein Recht, mein Schicksal mit dem der Kirche zu verknüpfen?

Sonst geht es mir recht gut, besser als je, ich arbeite sehr viel Philosophie, die ganzen modernen Schulen! Es grüßt Dich Dein .
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