Der editierte Text

|
D. 14. Okt 1917.
1
Liebe a!

Nun war ich wieder mal 5 Tage in b, und da es gänzlich unmöglich war, Dich zu sehen. (Hochzeitsgesellschaft!)2 So will ich diese unschuldige Schuld dadurch abtragen, daß ich Dir schreibe, und Dir damit zugleich beweisen, daß ich an Dich und über Dich denke; auch über Dich rede. f hat mir auf meine Frage erzählt; daß Du einen Brief bekommen hättest, der Dich erfreut hat. Das war mir lieb zu hören und ich wünsche Dir, daß es nicht der einzige bleiben möge. – Die Hochzeitstage waren schön. Etwas Helles in der allgemeinen Dunkelheit. g und h habe ich je einmal gesehen; nach langer Zeit zum ersten Mal wieder Dürselens. Die drei Mädels3 haben in der Lebensanschauung manche Ähnlichkeit mit Dir. (Nicht davon reden!) "Berliner Pastorenkreise" wie wir alle; es ist etwas Abs{u}nderliches um diese Kreise; jedenfalls werden keine Stützen der Kirche daraus hervorgehen. Ich bin eigentlich mit dem Eindruck eines richtigen Desasters weggefahren. k und die Sexualität, das sind die beiden| Elemente, die ich überall wiederfinde. Sehr, sehr mannigfaltig natürlich und in höchst interessanten Variationen. Die Bayrische Pastorenfamilie, in die l hineingeheiratet hat, kam der ganzen jüngeren Generation in dem einfachen Ausdruck christlicher Frömmigkeit komisch vor... das ist die Lage! Es gibt noch andere Symptome, über die ich nicht reden will und kann, die andere Seite der Sache betreffend; es gibt auch reine theologische Desasters, alles in allem immer dasselbe! Und hier im Felde! An der Theodicee bricht alles zusammen, was denken zu können glaubt! Wo sollen wir hinkommen? Und das sind doch nicht die Schlechtesten, die so denken und fühlen! m und n wollen, daß ich Philosoph werde! Was sagst Du dazu; Mir kommt es wie Flucht vor und ich will nicht auskneifen, aber habe ich noch ein Recht, mein Schicksal mit dem der Kirche zu verknüpfen?

Sonst geht es mir recht gut, besser als je, ich arbeite sehr viel Philosophie, die ganzen modernen Schulen! Es grüßt Dich
Dein o.

Fußnoten, Anmerkungen

1Die erklärenden Anmerkungen zu vorliegendem Brief wurden (ggf. geringfügig abgewandelt) aus seiner Erstveröffentlichung übernommen.
2c nahm an der Hochzeit seiner Schwester d mit e teil.
3Wahrscheinlich meint i mit den drei Mädels Cousinen mütterlicherseits, die allerdings nicht ermittelt werden konnten. Die Dürselens ist j Verwandtschaft mütterlicherseits.

Register

aRhine, Maria
bBerlin
cTillich, Paul
dSeeberger, Elisabeth
eSeeberger, Erhard
fWegener, Carl Richard
gWegener, Carl Richard
hSydow, Eckart von
iTillich, Paul
jTillich, Paul
kNietzsche, Friedrich
lSeeberger, Elisabeth
mTillich, Margarete
nWegener, Carl Richard
oTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambdridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974, bMS 649/178(9)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
unbekannt - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Maria Klein vom 25. August 1917
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Maria Klein vom 15. November 1917

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Maria Klein vom 14. Oktober 1917, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00546.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

{{Internetquelle |url=https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00546.html |titel=Brief von Paul Tillich an Maria Klein vom 14. Oktober 1917 |werk=Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition. |hrsg=Christian Danz, Friedrich Wilhelm Graf |sprache=de | datum=14.10.1917 |abruf=???? }}
L00546.pdf