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D. 25. Aug. 1917.

Liebe Maria!

Dein Wohnungswechsel hat mich sehr überrascht. Wie kommst Du nur mit Kühns aus? Für Dich ist es ja sicher viel netter, als die vielen Nöte in Lichtenrade weiter durchzuleben, und wohl auch für die ruhige Konzentration notwendig; immerhin würde es mich einigermaßen interessieren, wie die beiden sind, über die ich nun auf indirektem Wege schon so vieles gehört habe. --- Über Deine Arbeitsleistung staune ich; ich weiß nicht, ob ich das noch schaffen würde. Überarbeite Dich nur nicht. So Eile hat es doch wohl nicht --- In den 4 Tagen Urlaub war es wirklich nicht möglich, uns zu sehen; ich kam ganz erschöpft hierher zurück. Übrigens hatte ich auf der Hochzeit den allgemei| nen Eindruck einer gänzlichen Abwendung von Theologie und Kirche unter der jüngeren Generation, die aus religiösen Kreisen kommt.1] Dieses war mir recht erschütternd. Zumal ein Radikalismus dahinter stand, der mich erschreckte, so ähnlich wie er auch aus Deinem Brief hervorgeht! – Hast Du Gelegenheit, unter Deinen Mitstudenten, resp. – –innen, zu beobachten wie die Dinge liegen, vor allem, was den Ersatz für die Religion übernommen hat. Ich vermute, es ist vielfach die Kunst; aber wie ist die psychologische Vermittlung? Denn irgendwie muss der leere Raum ja gefüllt werden. Wie steht es bei Euch Beiden z. B. damit?| Wie stellst Du Dir übrigens Deine Existenz als Pfarrfrau vor mit Deinen großstädtischen Allüren und Nietzsche-haften Gedanken? Ist das nicht beinahe so schwierig, wie wenn Dox Dozent der Theologie werden soll? Ich kann mich natürlich vorläufig noch lange nicht entscheiden. Um Philosoph zu werden, muss man etwas leisten in der Philosophie. Und das habe ich noch kaum getan... Und dann fehlen mir alle Konnexionen. Aber Berlin lockt. ----

Ich habe das Gefühl daß Mutti über die Freundschaft zwischen Dox und Greti traurig ist, ja daß sie Greti Doxens jetzt stark ne| gatives Denken Greti zuschreibt. Das ist aber nicht richtig. Solchen Einfluss hat Greti nicht im Geringsten. Im Gegenteil, es ist schon mehrfach zwischen beiden zu heftigen Gegensätzen gekommen, weilDox Greti dem Radikalismus von Dox entgegentrat. Mutti würde sich sehr irren, wenn sie meinte, daß Greti irgendwie zwischen ihn und sie trat. Da waren schon ganz andere Entwicklungen in Dox eingetreten, die das bewirkt hatten, was Mutti vielleicht schwer empfindet. – Dieses schreibe ich ganz von mir und nur für Dich. Doch kannst Du gelegentlich Mutti von Dir aus in dieser Richtung die Wirklichkeit zeigen. ----

Sei herzlich gegrüßt und grüße Mutti und Lisa!
Dein tr. Paul.
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