Liebe Maria!
Dieser Brief soll zugleich Geburtstags- Weihnachts- undGeburtstag Neujahrsbrief sein, – natürlich wegen des Papiermangels. Als
Geburtsbrief hätte er über Dich zu reden, eventuell über Dich und mich.
Da kann ich nur sagen, daß ich mich wirklich sehr gefreut habe, als ich Deinen Brief1] las, weil mir
daraus immer deutlicher sprach, was ich Dir schon vor Jahren so oft gesagt hatte:
die
"Dame" im besten Sinne ---. Und das diese Entwicklung fortdauern möge, ist
mein "Segenswunsch" zum Geburtstag: Dazu gehört auch das, was Du über
"Selbstständigkeit" schreibst, denn ohne diese ist die Dame undenkbar. Und das hat
auch Bedeutung für Deine Freunde: Je mehr Du bist ohne sie, desto mehr kannst Du
ihnen geben, desto gleichartiger und höherwertiger wird die Freundschaft. Und dies
ist die "egoistische" Seite meines "Segenswunsches". Und ich bin von beiden Seiten
überzeugt, daß sie erfüllt werden und freue mich auf ein Zusammensein, das einmal
frei ist von der Belastung mit Eile und|
Einmaligkeit. -- Was den
"Neujahrsbrief" betrifft, so müßte er sich auf den Frieden beziehen, der für Dich
die
konkrete Bedeutung einer Rückkehr und eines Wiederfindens im tiefsten Sinne haben
sollte – das mein Neujahrswunsch. -- Und nun Weihnachten! Ich meine damit das
theologische Problem, das wir angeschnitten haben! Ich bin durch konsequentes
Durchdenken des Rechtfertigungsgedankens schon lange zu der Paradoxie des "Glaubens
ohne Gott" gekommen, dessen nähere Bestimmung und Entfaltung den Inhalt meines
gegenwärtigen religionsphilosophischen Denkens bildet. Dein Gedanke der Unendlichkeit
und des Lebens spielt dabei eine große Rolle. Doch darf das nicht zu einer neuen
"Objektivierung" führen. Das "Leben" als Begriff, die "Unendlichkeit" als Gegenstand
sind nicht philosophische, problematische Gottesbegriffe;
sondern es handelt sich um die innere Unendlichkeit des Lebens als Aktus, die
unendliche Lebendigkeit, das Transzendieren über jeden Gegenstand und alles|
Gegenständliche. Doch ist das nur die eine Seite; auf der andern steht das Ja zu
allem Lebendigen und seiner inneren immanenten Unendlichkeit. Dieses Beides zusammen
ist wieder eine Seite, die als Freiheitsbewußtsein einem Abhängigkeitsbewußtsein
gegenübersteht von einer Wertordnung, die aber auch nicht gegenständlich zu machen
ist, sondern als "Wertgefühl" bezeichnet werden kann. So zerfiele das religiöse
"Weltgefühl" in ein positives und negatives Freiheitsgefühl und in ein Wert|
gefühl. – Beide nun sind in sich rein "urständlich"; doch ist auch dieses nur
wieder eine Seite, wenn auch die fundierende, darauf aber baut sich auf in
verschiedenen Modifikationen eine "gegenständliche" d. h. ein irgendwie gearteter
Gottesbegriff, dessen Problematik nun kein Hindernis mehr ist für den Glauben. Denn
nicht an ihn wird geglaubt; sondern er ist die Folge eines Glaubens, der in sich
selber ruht. In dieser Richtung suche ich die Lösung.–