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D. 12. Nov. 1917.

Mein lieber Emmanuel!

Wie ich von Johanna höre, liegst Du in Bonn im Lazareth. Leider schreibt sie nicht, was Dir fehlt, ich bin recht unruhig und bitte Dich, mir Näheres zu schreiben, wenn Du irgend kannst! Wir haben überhaupt lange nichts von einander gehört (was im Übrigen relativ unwichtig ist). Johanna schreibt mir, Du warntest uns vor zu vielem Denken bezüglich der Religion. Ich verstehe das und bin im Grunde mit Dir einverstanden, aber wohl von ganz anderen Voraussetzungen her. Meine Fassung des Rechtfertigungsgedankens hat mich bis zu der Paradoxie des 'Glaubens ohne Gott' getrieben; denn wenn das Denken ein Tun, ein Werk ist (vergl. den Begriff des sacrificium intellectus) und wenn Gott als irgendwie seiend gedacht eben die Setzung eines gegenständlichen Denkens ist, so kann er gewissermaßen das Werk dieses Gedankens nicht von jemand verlangen, den er rechtfertigen will. Das Gleiche anders ausgedrückt: Auch der "Atheist" kann in seinem Atheismus| sich "gerechtfertigt" glauben von einer Ordnung oder Realität oder Tiefe, die noch über dem steht, was er als "Sein Gottes" verneint. Jene "Ordnung" ist natürlich nicht als ein Sein zu denken, was ein Circulus wäre, sondern als "Tiefe" oder "Sinn" etc. Ähnliche Gedanken kannst du in Simmels "Rembrandt" in dem Abschnitt über religiöse Kunst1] finden. Ich spreche sie nicht für mich aus, sondern als Konsequenz und Möglichkeit, aus der sich eine wunderbare Weite ergibt. Und die tut uns Not, wie ich jetzt in Berlin zu sehen Gelegenheit hatte.2] Lieber Mane! Es ist eine Katastrophe, was ich da sah! Ein hemmungsloses Negieren und Niederreißen mitten in den treusten Kreisen, wo nur Energie des Geistes und Nietzsches Hauch hinweht... Was soll werden? Der Krieg hat nur destruktiv gewirkt! Wo sind die Gegenkräfte? Ist es vielleicht wirklich ein "Ende", an dem wir stehen? Schreibe mir, was Du hoffst und fürchtest.

Dein treuer

Grüße herzlich deine Braut!

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    • Simmel, Georg, Rembrandt, ein kunstphilosophischer Versuch, Leipzig 1916.