Brief von Paul Tillich an Emanuel Hirsch vom 12. November 1917

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Der editierte Text

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D. 12. Nov. 1917.
Mein lieber a!

Wie ich von b höre, liegst Du in c im Lazareth. Leider schreibt sie nicht, was Dir fehlt, ich bin recht unruhig und bitte Dich, mir Näheres zu schreiben, wenn Du irgend kannst! Wir haben überhaupt lange nichts von einander gehört (was im Übrigen relativ unwichtig ist). d schreibt mir, Du warntest uns vor zu vielem Denken bezüglich der Religion. Ich verstehe das und bin im Grunde mit Dir einverstanden, aber wohl von ganz anderen Voraussetzungen her. Meine Fassung des Rechtfertigungsgedankens hat mich bis zu der Paradoxie des 'Glaubens ohne Gott' getrieben; denn wenn das Denken ein Tun, ein Werk ist (vergl. den Begriff des sacrificium intellectus) und wenn Gott als irgendwie seiend gedacht eben die Setzung eines gegenständlichen Denkens ist, so kann er gewissermaßen das Werk dieses Gedankens nicht von jemand verlangen, den er rechtfertigen will. Das Gleiche anders ausgedrückt: Auch der "Atheist" kann in seinem Atheismus| sich "gerechtfertigt" glauben von einer Ordnung oder Realität oder Tiefe, die noch über dem steht, was er als "Sein Gottes" verneint. Jene "Ordnung" ist natürlich nicht als ein Sein zu denken, was ein Circulus wäre, sondern als "Tiefe" oder "Sinn" etc. Ähnliche Gedanken kannst du in e f in dem Abschnitt über religiöse Kunst1 finden. Ich spreche sie nicht für mich aus, sondern als Konsequenz und Möglichkeit, aus der sich eine wunderbare Weite ergibt. Und die tut uns Not, wie ich jetzt in h zu sehen Gelegenheit hatte.2 Lieber m! Es ist eine Katastrophe, was ich da sah! Ein hemmungsloses Negieren und Niederreißen mitten in den treusten Kreisen, wo nur Energie des Geistes und n Hauch hinweht... Was soll werden? Der Krieg hat nur destruktiv gewirkt! Wo sind die Gegenkräfte? Ist es vielleicht wirklich ein "Ende", an dem wir stehen? Schreibe mir, was Du hoffst und fürchtest.

Dein tr.
o!

Grüße herzlich p!


Fußnoten, Anmerkungen

1Vgl. g
2i war im Oktober 1917 auf der Hochzeit seiner Schwester j in k. Vgl. den l.

Register

aHirsch, Emanuel
bFritz, Johanna
cBonn
dFritz, Johanna
eSimmel, Georg
fSimmel, Rembrandt, ein kunstphilosophischer Versuch, 1916
gSimmel, Rembrandt, ein kunstphilosophischer Versuch, 1916
hBerlin
iTillich, Paul
jSeeberger, Elisabeth
kBerlin
lBrief von Paul Tillich an Maria Klein vom 14. Oktober 1917
mHirsch, Emanuel
nNietzsche, Friedrich
oTillich, Paul
pHirsch, Rose

Überlieferung

Signatur
Deutschland, Marburg, Philipps-Universität Marburg, Deutsches Paul-Tillich-Archiv, Mikrofilm Rolle 5; 023/024/025
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
unbekannt - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Emanuel Hirsch an Paul Tillich vom 16. Mai 1912
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Emanuel Hirsch vom 6. Dezember 1917

Entitäten

Personen

Orte

Literatur

Briefe

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Emanuel Hirsch vom 12. November 1917, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00547.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00547.pdf