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Bremervörde, 7. X. 07.

Lieber Paul!

Deine 3 Typs stehen vor mir, u in ihnen verkörpert alle die Liebe, die Du mir erwiesen hast trotz all meines Soseins. Und doch – manchmal bekomme ich Zweifelanfälle, ob unsre Freundschaft auch nicht einseitig sei. Mein Herz liegt offen vor Dir wie ein aufgeschlagenes Buch, aber manchmal will mir scheinen, als ob nur die Pathologie dieses Buches Dir Interesse abgewinne und nicht auch das übrige, daß es Dir ein interessanter Fall Deiner Wingolfspsychologie wäre. Aber dann müßte es schon einer sein, der großes Interesse u mehr erwecke, denn einem solchen Fall zu Liebe eine Throtapauke zu machen, u dann zu sehen, wie auch dies Mittel den gewünschten definitiven Erfolg nicht hat, daß die Schwankungen uns kleiner geworden| sind, anstatt gänzlich aufzuhören, dazu gehört doch wohl mehr als ein interessanter Fall. Und daß die Bemühungen um mich nicht aufhören, zeigt mir, wie unrecht u undankbar es ist, daß ich solchen Zweifeln Raum gebe. Und die 3 Typs, ein neues Zeichen, und ich danke Dir herzlich dafür. Zu meinem Geburtstage kamen viele Briefe, z.B. von Fritz, Stosch, Balke, Lbb usw., u viele Karten. Lorenz kündigte als Geburtstagsgeschenk seinen Besuch an, ich habe ihn daraufhin eingeladen, mich diese Woche zu besuchen, aber bis jetzt hat er noch nichts von sich merken lassen, vielleicht ist ihm das Wetter zu schlecht.

Leider habe ich den Rundbrief noch nicht, aber ich kann mir denken, worauf sich die Prolese bezieht, auf das Denken, nicht wahr? Ja, ich habe etwas gelernt in Halle u von seinen Größen.

Von meinem Lbfx hatte ich einen rührenden Brief, allerdings nachdem ich ihm einen gehörigen Tritt verabreicht hatte; hoffentlich geht| diese Rührung auch in Tat über und erstreckt sich nicht auf spätere Zeit. Zu leicht steckt ja bei ihm die Bewegung. Einen schlechten Gefallen hast Du mir getan, als Du ihn moralisch zwangest, oder vielmehr ihn darin bestärktest, auf dem Hause wohnen zu bleiben, gerade vor dem Convent hatte ich ihn soweit, daß er entschlossen war, vom Haus zu ziehen. Ich wäre seinetwegen 10 mal ruhiger gewesen. Nun ist die Gefahr für ihn ungleich größer. Hoffentlich zieht er nur nach oben, wie er mir das versprach, aus seinem bisherigen Loch heraus.

Ein Jahr älter als ich bin, hast Du mich doch gemacht, ich wurde erst, oder schon 22 Jahre alt.

Gestern habe ich mich mal an Hamlet erbaut, ich mußte bei jedem Wort beinahe an Dich denken, manches konnte ich fast auswendig, nur von Deinem Zitieren. Dieser scharfe Sarkasmus, der bittere Spott ist doch was durchschneidendes, verletzendes u doch wohltuendes. Und dagegen das gleisnerische Honig um den Bart| schmieren des Königs u seines Anfangs, wie eckelt es jeden an. Überhaupt ist Shakespeare in seinen Dramen noch nicht erreicht, ich hoffe es Weihnachten in meinen Besitz zu bekommen – so lesbar die Dramen von Hebbel, besonders nach der formellen Seite, auch sind.

Natürlich gab die letzte Zeit besonders viel im Garten zu tun.

10.X.07. Gestern Morgen hatte ich eine ganze Anzahl von Stachelbeeren u Johannesbeeren an- u umzupflanzen. Am Nachmittag kam Lorenz ganz von Hamburg per Rad, natürlich ganz erschöpft, aber doch sehr fidel. Er bleibt bis Sonnabend u will dann per Rad zurück. Gestern hatten wir tadelloses Wetter, heute ist es sehr nebelig, aber es wird noch gut. Heute ist hier großer Jahrmarkt, der für meine kleinen Geschwister große Freude mit sich bringt, ich gehe dem Trubel nicht aus dem Wege. Augenblicklich gibt Lorenz meinem kleinen Bruder Salem lateinische Stunde.1]

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    Personen:

    Orte:

    Literatur:

    • Shakespeare, William. Shakespeare's Hamlet, english und deutsch: Neu übersetzt und erläutert von Max Moltke. Deutschland: n.p., 1869.