Der editierte Text

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Liebes Paulchen (Details anzeigen)!

Endlich komme ich dazu, Dir auf Deinen lb. Geburtstagsbrief (Details anzeigen) zu antworten. Ich freue mich recht, daß Du noch einmal in Erholung gegangen bist. Das Wetter war ja wieder schön. Mein Geburtstag war so schön wie es unter den Umständen möglich ist. (Übrigens protestiere ich gegen die Angabe Deines Gedenkbuchs, das mich 2 Tage älter macht als ich bin.1 Ich erlaube mir am 26 IX. die Welt durch meine Anwesenheit in Entzücken versetzt zu haben.) Eine besondere Freude war die Anwesenheit meiner englischen Geschwister. Auch die Menge der Briefe u. Karten zeigte mir, daß Mancher an mich dachte, aber der liebste Glückwunsch fehlte denn. Da muß man immer wieder nun dran lernen. – In der letzten Zeit kam ich nicht | viel zum Arbeiten. Ich bin Hausvater u. Hausmutter zugleich, da meine Mutter (Details anzeigen) zu meiner Schwester (Details anzeigen) reisen mußte, die an Nierenentzündung krank liegt. Doch habe ich mich jetzt in die Psalmen hineingestürzt u. hoffe rasch vorwärts zu kommen. Deine Freude an Wellhausen (Details anzeigen) verstehe ich, denn er ist Poet. U. jede Schwierigkeit verschwindet unter seiner künstlerischen Intuition. In den Grundzügen ist er auch jetzt noch maßgebend, aber in Vielem ist er übers Ziel geschossen. Es wäre fein, wenn wir miteinander darüber reden könnten, schließlich kommt man eben auf die Frage der atheistischen Geschichtsforschung2. Auch daß Du B. Weiß (Details anzeigen) Schüler bist, ist mir interessant. Ich bin ja zur Zeit Beyschlag (Details anzeigen) Schüler, der B. Weiß (Details anzeigen) bei jeder Gelegenheit infam behandelt. Da könnten wir uns wunderschön die Haare ausraufen. Übrigens habe ich Dich im Rundbrief abscheulich behandelt u. hoffe, daß Du trotzdem nicht jeden Verkehr mit mir abbrichst. Jetzt will ich in Häringsche (Details anzeigen) Dogmatik (Details anzeigen) gehen. | Ich kann mich zwar nicht sehr für [ihn] begeistern, aber er ist nun mal in (Details anzeigen). Professor u.s.w. Es ist schon gefährlich, daß ich nicht in seine Kollegs gehe. Ich habe ihn als Menschen ganz gern, aber im Kolleg ist es mir etwas zu umständlich. Jedenfalls ist er das Vorbild eines edlen Menschen – – daß Du Dich für Valentin (Details anzeigen) begeisterst kann ich verstehen, aber ein Luftgeschäft ist es doch. Er ist allerdings frei von allem „Schielen nach der Praxis“ u. das ist ja nach Deinem Rundbrief ein großer Vorteil. Die Erlaubnis zum Aktivwerden will ich Dir geben, wenn Du versprichst Dich nicht zu sehr in Verbindungsangelegenheiten zu stürzen u. vor Allem zeitig ins Bett zu gehen. Wenn Albert (Details anzeigen) x3 würde, wäre es sehr fein. Er hat ja letztes Sem. viel geschafft, so hat er einen Vorsprung. Freilich brauchte er von Deiner Seite viel Weisheit gleich von Anfang an, damit er nicht als Deine Maschine erscheint, was seine Stellung sehr erschweren würde. | Zur Zeit lese ich Wobbermin (Details anzeigen)Der christliche Gottesglaube (Details anzeigen)“. Etwas hölzern erscheint er mir. Vielleicht ist er zu hoch für mich. Mehr Genuß macht mir „Das † Christi u. das moderne Denken (Details anzeigen)“ von P. Metzger (Details anzeigen)Basel (Details anzeigen). Er ist ein Freund Härings (Details anzeigen) u. Loofs (Details anzeigen). Seine Würdigung des †s entspricht etwa der Schmuhls (Details anzeigen): Offenbarung der Gnade u. des Gerichts. Nun lebe recht wohl, erhole Dich gut u. rutsche gut ins neue Semester. Für das Schwindsuchtsbild4 herzlichen Dank. Leider ist es gut getroffen. Wenn ich aber mal Pfarrer im Schwarzwald (Details anzeigen) bin. –

Mit herzlichem Gruß

Dein Alfred (Details anzeigen).


Fußnoten, Anmerkungen

3Als X bezeichnet man einen Erstchargierten oder Fux. Der X fungiert als Sprecher der Verbindung.
4Das Portraitfoto, das Tillich Fritz zukommen ließ, ist nicht überliefert.

Register

aStuttgart
bTillich, Paul
cBrief von Paul Tillich an Alfred Fritz vom 22. September 1907
dBrief von Paul Tillich an Alfred Fritz vom 22. September 1907
eFritz, ???
fFritz, ???
gWellhausen, Julius
hSchlatter, Atheistische Methoden in der Theologie, 1905
iWeiß, Bernhard
jBeyschlag, Willibald
kWeiß, Bernhard
lHäring, Johann Theodor von
mHäring, Der christliche Glaube: Dogmatik, 1906
nTübingen
oValentinus, Gnosticus
pKilger, Albert
qWobbermin, Georg
rWobbermin, Der christliche Gottesglaube in seinem Verhältnis zur gegenwärtigen Philoso..., 1902
sMezger, Das Kreuz Christi und das moderne Denken. Ein erweiterter Vortrag, 1907
tMezger, Paul
uBasel
vHäring, Johann Theodor von
wLoofs, Friedrich
xLütgert, Wilhelm
ySchwarzwald
zFritz, Alfred

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974, bMS 649/143(11)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Stuttgart - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Alfred Fritz vom Oktober 1907
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Alfred Fritz an Paul Tillich vom 29. Oktober 1907

Entitäten

Personen

Orte

Literatur

Briefe

Zitiervorschlag

Brief von Alfred Fritz an Paul Tillich vom 4. Oktober 1907, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00220.html, Zugriff am ????.

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