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Mein lieber Alfred!

Da in meinem "Vergiß mein nicht" Du unter dem 24ten September verzeichnet stehst, wir aber morgen nach Misdroy fahren – staune nur – will ich schon heute meinen Geburtstagsglückwunsch Dir aussprechen. Welchen Inhalt diese Form bei einem Examensarbeiter haben muß, ist ja klar im allgemeinen, aber im speziellen liegt die Sache schwieriger, da – wenigstens nach Deiner Behauptung – von der Art des Durchkommens Dein Sein oder Nicht-Sein in Europa abhängt. Da wünscht denn mein ἄνθρωπος πνευματικός (valentinianische Gnosis), daß Du vermittelst einer 1-2 zu den Negern befördert wirst, und mein ἄνθρωπος ψυχικός, daß Dich eine 3b in "das Pfarrhaus im Schwarzwald" als "ἄρχων τοῦ τόπου μεσότητος" für alle Berliner und sοnstige Milchgesichter in weißen Kouleuren bringt. Da ich augenblicklich heimlicher Anhänger von Valentinus bin, so muß ich mich wohl für das erste entscheiden. Also in diesem Sinne viel Segen! – Was die Reise nach Misdroy betrifft, so| will ich Dich gleich beruhigen; es ist die Verlegung unseres ganzen Haushalts mit Mädchen u. allem auf 14 Tage an die Ostsee, die mein Vater noch braucht und die uns so noch am billigsten kommt kommt. Ich werde mich natürlich mehr mit kl. Loofs und Steuernagel wappnen, als mit Spaten, wie im Sommer. – Herzlichen Dank für Deinen Brief; es geht mir mit der Arbeit genau so wie Dir. Bis jetzt habe ich Amos übersetzt (¿¿¿0!! Vokabeln aufgeschlagen, alphabetisch geordnet, und im Begriff sie auswendig zu lernen); es ist doch etwas feines und Deine Freude am Hebräischen immer weniger horribile dictu. Dazu kommt, daß ich mit wachsender Begeisterung Wellhausens Prolegomena gelesen und gestern vollendet habe; ich habe selten einen Roman mit soviel, Spannung und Interesse gelesen, ordentlich zitternd vor jedem Gegenbeweis und jubelnd bei jeder Absägung durch Wellhausen. Du wirst über diese fuxenhafte erste Liebe lächeln, aber ich bin im A-T ja weniger als ein Fux und Wellhausen der Geist, der mir die Finsternis etwas zu durchstrahlen scheint. Wie gern würde ich mit Dir da| über tönen und Dein "wissenschaftlich gereiftes (!) (?) Urteil" vernehmen! Dann kommt Hosea dran und vielleicht die übrigen "Kleinen." – Kirchengeschichte bin ich jetzt, wie Du ja gesehen hast, mitten in der Gnosis. Das meiste ist Unfug; aber für Valentinus begeistere ich mich jetzt noch ebenso, wie in meinem ersten Semester, als ich zum ersten Mal davon las! – Neues Testament arbeite ich Einleitung und bin mit Thessalonicher- und Galater fertig, was deshalb etwas besagen will, weil ich Jülicher, B. Weiß und Zahn gemeinsam durcharbeite, was natürlich viel Zeit in Anspruch nimmt. – Überhaupt ist das Problem, das richtige Verhältnis zwischen Gründlichkeit und Behältlichkeit herauszubekommen. Ersteres ist natürlich ungleich sympatischer, aber fürs Examen unpraktisch. Dir gehts ja ebenso! – Mittwoch bis Freitag war mein Lbfx hier, der von Hinterpommern zurückkam; wir waren noch sehr nett 2 Tage zusammen; vielleicht fahre ich noch auf ein paar Tage zu Spatz – Der Rundbrief hat einen verheißungsvollen Anfang genommen. Hoffentlich bist Du mit den Statuten einverstanden. Jedenfalls kann die Ordnung bleiben. Die Predigt hatte ich meiner| Schwester gegeben und vergessen, mitzuschicken! – das "donum superadditum ist also das "Menschentyp"; ich bin neugierig, ob dies gefällt; es ist glänzend getroffen, aber etwas blaß. – Ich hoffte, Hermann würde noch nach Misdroy mitkommen; er hatte seine Lust ausgesprochen und es würde ihm sehr gut tun. – Dienstag macht Fr. Büchsel sein IItes Examen! – Soll ich noch aktiv werden? Augenblicklich schwankt die Wage sehr nach "ja". Besonders mein Vater wünschts. – Albert muß es noch; ich habe die heimliche!! (nichts sagen!) Hoffnung, ihn zum x zu machen; nach 3 Wochen wird ein neuer gewählt! Es wäre für ihn und Berlin famos! Nicht wahr? – Schreibe an meine Berliner Adresse! Es wird alles sofort nachgeschickt! – Und zwar bald!!!

Herzlichen Geburtstagsgruß sendet Dein
treuer Paul.
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    • Wellhausen, Julius. Prolegomena zur Geschichte Israels. Deutschland: De Gruyter, Incorporated, 1899.