Es ist höchste Zeit, daß ich Dir für Deinen lb. Brief1] danke. Viel Zeit habe ich zwar nicht, da ich am nächsten Sonntag als Musterprediger mich betätigen will, über einen ziemlich öden Text.
Ich freue mich, daß Dirs gut geht. Nun wirst Du Deinen Hunger auf Realitätenge etwas gestillt haben in ernster Arbeit. Was Deine Erfahrungen
über Schmuhlsches u. Heimsches Denkideal sind, möchte
ich gerne sehen. Ich muß sagen, daß ich sehr zu Schmuhl neige, immer im Rennen durch die Jahrhunderte u.
Systeme bleibt er eine geheime Sehnsucht! Das möchte ich genauer kennen lernen u.
es
kostet schon ziemliche Überwindung, wenigstens nicht in der Realenzyklopädie
nachzusehen. Also die Liebe|
zum Denken aus Liebe wäre schon da, aber
leider ist mein Denken zur Zeit zwar nicht aus Not, aber mit Not. Wenn ich daran
denken will, im Sommer Examen zu machen, muß ich mich zum theologischen Rennautomobil
ausbilden, was kein Vergnügen ist, nicht nur wegen der damit verbundenen Sturzgefahr.
Vorerst läuft mein Motor gut. Die letzte Woche durchrannte ich die orthodoxe Dogmatik
u. platze bald vor Statibus, genera specialia et universalia,
communicationes etc. Doch machte es mir Spaß, es ist ein schöner regelmäßiger
Bau mit wundervoller Einteilung bis ca. Wie ein
Studiosus einst den Hutterus
lernte, muß er ein merkwürdig geordnetes Gedankenwerk im Kopf gehabt haben. Daraus
erkläre ich mir die geringe Neigung zu Seitensprüngen in der orthodoxen Periode. Es
lebt sich in diesem orthod. System so behaglich wie in den streng regelmäßigen
Gärtenanlangen der gleichen Zeit. Einige Kuriosa habe ich doch noch angestaunt resurrectio consistit in reproductione|
eiusdem quod per
mortem cecidit, ex atomis illius corporis, hinc inde disjectus atque
dissipatis.
Was für geduldige Schäfchen müssen die Studenten der damaligen Zeit gewesen sein.
Etwas andere Kost ist Beyschlags NT Theologie. Er hat absolut keine Hinneigung zur Orthodoxie.
Nicht nur starke Polemik gegen Strafstellvertretung, sondern Verdrängung des ↓ref.↓ Rechtfertigungsgedankens ausder
zu dem Zentrum der paulinischen Theologie u. Einsetzung des
Heiligungsgedanken.Sondern Befreiung von der Sünde anstatt der
reformat. Befreiung von der Schuld. Hales ist fein. Aber manchmal sieht man doch zu sehr das gemütliche Gesicht
des seligen B. hinter Pauli Mantelzipfeln hervorgucken.
Meine Predigt ist mir diesmal schwer gefallen. Ich habe das Unglück einen Text behandeln zu müssen, der sich nicht ohne Moralpauken behandeln läßt (Mt. 21, 28 ff.) u. das hasse ich, besonders wenn man als jugendliches Bürschchen zum ersten Mal die Kanzel besteigt.
|Daß Du noch soviel Dankbarkeit u. Liebe geerntet hast, freut mich recht für Dich. In Halle, das wird wohl immer zu den temporibus aureis unseres Lebens gehören, wenns auch für mich einen recht traurigen Abschluß gefunden hat.
Deinen Körper schone! Deinen Geist lasse schönf brav am
Gängelband gehen! Ach Kerl es ist doch schade; daß man nicht hie u da mit einander
reden kann. Gerade jetzt wo alles Erleben auf Bücher beschränkt ist, empfindet man
es
recht, denn da sind die Leute selten, denen man mitteilen kann u. das ist nun mal
nötig. – War nicht Dein Leibfux
in Misdroy bei Dir. Was macht er
denn? Es ist schade, daß Ihr schon auseinander seid. – Der Rundbrief ist jetzt wohl
bei Dir gewesen. Wegen der Neuordnung fürchte ich nur das Porto, wenn es so oft sie
hin u. her geht. Auch verliert man viel Zeit. – Gestern war Philistertag. Ich saß
sehr nett mit Wergenthaler u. Häfele zusammen. Sonst hätte ich mich fremd dort gefühlt. Es
ist traurig.
Natürlich möchte ich beide Typs, das als X u. das als Mensch.
Sei herzlich gegrüßt von Deinem