Der editierte Text

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a, im Oktober 1907
Lieber b!

Damit Du nicht doch noch fürchtest, ich wäre wegen des Rundbriefs eingeschnappt, will ich Dir auf Deinen letzten c endlich antworten. – Du hast übrigens Recht, daß ich zwei Dinge ineinandergewurstelt habe; das war aber Absicht. – – Also der Rutsch ins Semester ist vollbracht und die Energie des Rutsches war so stark, daß ich d, trotzdem er sich mit dem Strick eines Inaktivierungsgesuches an e festgebunden |:hatte:|, mitgerissen wurde. Ins Verderben?? Ein glattes Nein zu antworten würde ich noch nicht wagen. Die Antrittskneipe war erträglich, da der Knalleffekt meiner und f Aktivmeldung, die Sentimentalität in Schranken hielt; noch mehr der Antrittskneipeonvent, dessen Langeweile dadurch nicht gerade gemindert wurde, daß er zum großen Teil in heimlicher Zwiesprach zwischen dem x1 und mir bestand, deren Schluß war, daß jener ein "ja" in die Gegend stemmte. Ob es aber immer so bleiben | wird, ist zum mindesten zweifelhaft. Der Prozentsatz der Hallenser und solcher[,] die es werden wollen, ist doch sehr klein. Was mit dem "x" wird weiß ich nicht. Ich habe weder Gelegenheit, noch wäre es praktisch, wenn ich keilte. g wird tun was möglich ist; sonst kommt nur h in Betracht, der auch sehr erträglich ist. Er ist im Herzen Hallenser und als Marburger bekannt, könnte also sehr gut wirken. – Um nicht aus der Übung zu kommen, bin ich zum "Oberstatutenrevisor" ernannt worden, was ich natürlich nur dann praktisch sein werde, wenn sich "Orthodoxismen" in die Statuten schmuggeln lassen. – Doch bekommst Du ein falsches Bild, wenn die Hälfte des Briefes von der Verbindung in Anspruch genommen wird; denn in Wirklichkeit füllt sie nur einen ganz kleinen Bruchteil aus, d. h. 2 Abende in der Woche. Sonst verläuft mein Tag in vollkommen normal examenarbeitlicher Weise: Von 9-12 Kirchen- und Dogmengeschichte, von 12-1 i Dogmengeschichte, mein einziges Kolleg, 4 stündig, bis 4 draußen (mit j bummeln oder Krokett oder | sonst was). Dann bis Abend Einleitung ins N-T, eine sehr umfangreiche Arbeit, aber wunderschön. Daß ich Schüler von k bin, kann ich eigentlich nicht behaupten. Im allgemeinen neigt mein Herz zu l, doch bin ich bei den großen Ketzereien (Johannes, Synopse...) noch nicht angekommen. Das A.T. hat zunächst mal einen Stillstand erreicht und zwar vollzog sich der gegen Ende von Hosea, wo in manchen Kapiteln kein Vers mehr ganz ist, was einem "Anfänger" nicht gerade angenehm ist. In meiner eigentlich theologischen Bildung ist nach der Problem-Hochflut in m mit n eine ziemliche Ebbe eingetreten; ich befolge im allgemeinen den Grundsatz der ἐποχή des Urteils, – da ich bei jedem einzelnen Urteil das Gefühl einer Anmaßung nicht loswerden kann. Das Wissen fehlt, das merkt man beim Arbeiten und das "Durchdenken" fehlt, das merkt man beim Debattieren. Und was das Wichtigste ist, die Erfahrung fehlt. So fürchte ich fast, einer gewissen Stagnation anheimzufallen. Dazu kommt, daß das Stehenbleiben meines Denkens bei den Resultaten, des IV Semesters, im Vten und VIten tatsächlich | ein Rückschreiten war und das lässt sich gerade in solcher Zeit schwer nachholen. Doch wird das Semester vielleicht abhelfen: o, mit dem ich ja viel zusammen bin, der aber wohl zu wenig als Antithesis wirken kann, p der übermorgen kommt, q, vor allem auch r und s, die beide im Domstift sind. Der Gedanke, nicht in t zu sein, wird durch die Arbeit so überwunden, daß er nur zuweilen, blitzartig hervorbricht und bohrt. Sage |:grüßend:| u, daß dieses Mittel auch dafür prächtig wäre. Sage ihm außerdem, daß ich ihm für die "Auswahl in usum Delphini" aus dem Brief an v dankte, trotzdem aber die Pflicht der Antwort noch nicht für verjährt hielte. – Im übrigen wäre auch das Briefschreiben ein Trost für Männer im Exil. |:Auch das Briefe-Erhalten!!! Also bald!!! (geht auf Dich):| Grüße w

und sei herzlich gegrüßt
von Deinem treuen x.

Fußnoten, Anmerkungen

1Als X bezeichnet man einen Erstchargierten oder Fux. Der X fungiert als Sprecher der Verbindung.

Register

aBerlin
bFritz, Alfred
cBrief von Alfred Fitz an Paul Tillich vom 4. Oktober 1907
dKilger, Albert
eBalke, Hans
fKilger, Albert
gGräber, ???
hBromisch, ???
iSeeberg, Reinhold
jKilger, Albert
kWeiss, Karl Philipp Bernhard
lJülicher, Adolf
mMisdroy
nBüchsel, Friedrich Hermann Martin
oKilger, Albert
pWitte, Hermann
qGräber, ???
rJäger, Th.
sGründler, Ernst
tHalle (Saale)
uLorenz, ???
vKilger, Albert
w???, Daniel
xTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974., bMS 649/143(11)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Berlin - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Alfred Fritz vom 22. September 1907
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Alfred Fitz an Paul Tillich vom 4. Oktober 1907

Entitäten

Personen

Orte

Briefe

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Alfred Fritz vom Oktober 1907, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00217.html, Zugriff am ????.

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