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Lieber Alfred!

Damit Du nicht doch noch fürchtest, ich wäre wegen des Rundbriefs eingeschnappt, will ich Dir auf Deinen letzten Brief endlich antworten.– Du hast übrigens Recht, daß ich zwei Dinge ineinandergewurstelt habe; das war aber Absicht. – – Also der Rutsch ins Semester ist vollbracht und die Energie des Rutsches war so stark, daßich Albert, trotzdem er sich mit dem Strick eines Inaktivierungsgesuches an H. Balke festgebunden hatte, mitgerissen wurde. Ins Verderben?? Ein glattes Nein zu antworten würde ich noch nicht wagen. Die Antrittskneipe war erträglich, da der Knalleffekt meiner und Alberts Aktivmeldung, die Sentimentalität in Schranken hielt; noch mehr der Antrittskneipeonvent, dessen Langeweile dadurch nicht gerade gemindert wurde, daß er zum großen Teil in heimlicher Zwiesprach zwischen dem x und mir bestand, deren Schluß war, daß jener ein "ja" in die Gegend stemmte. Ob es aber immer so bleiben | wird, ist zum mindesten zweifelhaft. Der Prozentsatz der Hallenser und solcher die es werden wollen, ist doch sehr klein. Was mit dem "x" wird weiß ich nicht. Ich habe weder Gelegenheit, noch wäre es praktisch, wenn ich keilte. Gräber wird tun was möglich ist; sonst kommt nur Bromisch in Betracht, der auch sehr erträglich ist. Er ist im Herzen Hallenser und als Marburger bekannt, könnte also sehr gut wirken.– Um nicht aus der Übung zu kommen, bin ich zum "Oberstatutenrevisor" ernannt worden, was ich natürlich nur dann praktisch sein werde, wenn sich "Orthodoxismen" in die Statuten schmuggeln lassen.– Doch bekommst Du ein falsches Bild, wenn die Hälfte des Briefes von der Verbindung in Anspruch genommen wird; denn in Wirklichkeit füllt sie nur einen ganz kleinen Bruchteil aus, d. h. 2 Abende in der Woche. Sonst verläuft mein Tag in vollkommen normal examenarbeitlicher Weise: Von 9–12 Kirchen- und Dogmengeschichte, von 12–1 Seeberg Dogmengeschichte, mein einziges Kolleg, 4 stündig, bis 4 draußen (mit Albert bummeln oder Krokett oder | sonst was). Dann bis Abend Einleitung ins N-T, eine sehr umfangreiche Arbeit, aber wunderschön. Daß ich Schüler von B. Weiß bin, kann ich eigentlich nicht behaupten. Im allgemeinen neigt mein Herz zu Jülicher, doch bin ich bei den großen Ketzereien (Johannes, Synopse...) noch nicht angekommen. Das A.T. hat zunächst mal einen Stillstand erreicht und zwar vollzog sich der gegen Ende von Hosea, wo in manchen Kapiteln kein Vers mehr ganz ist, was einem "Anfänger" nicht gerade angenehm ist. In meiner eigentlich theologischen Bildung ist nach der Problem-Hochflut in Misdroy mit Fr. Büchsel eine ziemliche Ebbe eingetreten; ich befolge im allgemeinen den Grundsatz der ἐποχή des Urteils, – da ich bei jedem einzelnen Urteil das Gefühl einer Anmaßung nicht loswerden kann. Das Wissen fehlt, das merkt man beim Arbeiten und das "Durchdenken" fehlt, das merkt man beim Debattieren. Und was das Wichtigste ist, die Erfahrung fehlt. So fürchte ich fast, einer gewissen Stagnation anheimzufallen. Dazu kommt, daß das Stehenbleiben meines Denkens bei den Resultaten, des IV Semesters, im Vten und VIten tatsächlich | ein Rückschreiten war und das lässt sich gerade in solcher Zeit schwer nachholen. Doch wird das Semester vielleicht abhelfen: Albert, mit dem ich ja viel zusammen bin, der aber wohl zu wenig als Antithesis wirken kann, Witte der übermorgen kommt, Gräber, vor allem auch Th. Jäger und Ernst Gründler, die beide im Domstift sind. Der Gedanke, nicht in Halle zu sein, wird durch die Arbeit so überwunden, daß er nur zuweilen, blitzartig hervorbricht und bohrt. Sage grüßend Lorenz, daß dieses Mittel auch dafür prächtig wäre. Sage ihm außerdem, daß ich ihm für die "Auswahl in usum Delphini" aus dem Brief an Albert dankte, trotzdem aber die Pflicht der Antwort noch nicht für verjährt hielte. – Im übrigen wäre auch das Briefschreiben ein Trost für Männer im Exil. Auch das Briefe-Erhalten!!! Also bald!!! (geht auf Dich) Grüße Daniel

und sei herzlich gegrüßt
von Deinem treuen Paul.
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