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Stuttgart. 27. IX. 06.

Liebes Paulchen!

Für Deinen lb. Geburtstagsbrief1] danke ich Dir herzlich. Da Du darin über großen Schweigsamkeit der lb. Brüder klagst, so will ich auch gleich antworten. Also Deine lb. Worte haben mich sehr gefreut u. es ist mir eine große Beruhigung, an Dir einen treuen Waffenfreund für das nächste Semester zu haben. Daß Du Dich nochmal recht erholst, freut mich, nun bist also wieder ein sandwühlendes problemewälzendes Lebewesen, hoffentlich erbarmt sich das Wetter u. Du bekommst noch recht schöne Tage.

Ich bin seit 2 Wochen zu Hause, dh. in Schwaben, gleich nach meiner Ankunft gieng ich nach Holzgerlingen, wo ich meine kl. Nichte | eifrig wiegte. Es ist ein zu liebes Ding u. wenn man ein so hupfendes, rutschendes Wesen in seinem Paradieseszustand betrachtet u. denkt was es noch Alles auszuhalten hat u. was es noch Alles an Freude u. Leide erleben wird, so wird man wehmütig u. fröhlich zugleich. Es ist doch das größte Wunder, daß ein solch hilflos zappelndes Geschöpf mehr wert ist als die ganze schöne, unermeßlich große Welt. Du siehst ich habe richtig philosophiert, als ich das kl. Mädel in den Schlaf wiegte.

In Bielefeld war es vollends recht schön u. es war mir der Abschittied von meinen lb. Jungens beinahe schwer.2] Es ist ja eine andere Liebe, die man zu solchen armen Geschöpfen hat, eine ganz von Sympathie losgelöste, es war mir eine Wonne dort Nietzsche zu lesen u. sich an den albernen Geschwätz zu erbauen. Wenn N. eine Zeit lang in Bethel Hosen geputzt hätte, hätte er nicht | so geistreich von den Viel zu Vielen geschrieben. Denn von seinem Standpunkt sind meine lb. Jungens sich Viel zu Viele u. für mich waren sie so wichtig.

Du scheinst Dich auch hauptsächlich an das NT. gemacht zu haben, das ist auch meine Hauptarbeit, so weit ich zu einer komme u. meine Hauptarbeitfreude. Zu meinem Geburtstag bekam ich besonders einige Schlatterkommentare: Galaterbrief, Johannesev., Markus u. Lukas, u. Mathäus. So will ich mich nun vollends ganz verschlattern. Daß er auch Dir gefällt freut mich, er hat etwas so urkräftiges, Sein Wort: "Daß Gott einen kranken Fuß heilen kann glauben wir gerne, aber daß er unsern armen verwirrten Kopf zu Stande bringen kann, glauben wir nicht," ist mir schon oft ein Trost in dem Wirrwarr u. Schwierigkeit gewesen, die nun scheints einmal Theologenlos sind. Doch Du bist ja gründlicher.| Dir hilft ein solches hupfendes Tröstchen nicht. Aber wenn auch nicht in dieser Form, so mußt Du doch wohl auch Dein problemewälzendes Oberhaupt zur Ruhe bringen u. suchen: Stille zu sein in Gott. (Weißt noch auf der Peißnitz).

Auf der Heimfahrt machte ich eine wunderschöne Rheinreise. Doch möchte ich dir nimmer viel davon erzählen, sondern auf Mündliches aufsparen. Dir u. besonders deinem lb. Vater wünsche ich recht gute Erholung; Dein verehrtes Frl. Schwester, bitte ich, zu grüßen, bei Frl. Toni mich zu empfehlen.

Es grüßt Dich herzlich
Dein tr. Alfred

Ich sende den Brief nach Berlin, da ich Deine Adresse in Misdroy nicht weiß

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