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Bethel. 21. Aug. 06.

Mein liebes Paulchen!

Nun hätte ich Deinen Geburtstag beinahe vergessen. Ich lebe eben in einer ganz anderen Welt. So hohle ich es hiermit von ganzem Herzen nach. Ich weiß ja nichts Besonderes Dir zu wünschen. Aber ich wünsche Dir eben alles Gute u. was für uns beide wichtig ist, guten Fortgang des Studiums in jeder Beziehung. Besonders daß Du immer mehr Freude bekommst an unserem Beruf oder ohne Umschweif gesagt, daß Du immer mehr siehst, wie herrlich es sein muß, das Evangelium zu verkündigen, weil Du erfährst, wie herrlich das Christentum ist. | Das ist mein Wunsch für Deinen Geburtstag. Für Deine lb. Karte1] mit der herrlichen Festung herzlichen Dank. Ich erholen mich eben so gut wie Du nur auf eine etwas andere Weise. Um 5h Morgends gehts heraus, Bett u. Zimmer wird gemacht u. um 1/26h die Jungens geweckt. Ich habe etwa 14 Jungens, die durch die vielen Anfälle ziemlich verblödet sind. Die meisten sind ganz hilflos, so müssen sie angezogen u. gewaschen werden. Um 1/27h ist Kaffee. Dann gehen die, die noch einigermaßen denken können, in die Schule. 3 sind so, daß sie auch in diese Schule, wo ja die mindesten Ansprüche gestellt werden, nicht gehen können. Inzwischen muß ich den Schlafsaal aufwischen u. bürsten, die Betten machen die natürlich teilweise naß sind u. es sitzt auch etwas wohlriechendes meistens drin.| Da wird geputzt u. abgestaubt, das ist eine Freude. Nachher um 1/29h ist wieder Kaffee. Man sollte denken, daß man mit diesen unappetitlichen Jünglingen zusammen nicht gut essen kann, aber solche Flausen verlieren sich rasch u. ich habe noch nie so viel gegessen wie hier. Ich glaube ich könnte es sogar an Eurem Tisch in Halle jetzt aushalten. Nach dem Essen gehts spazieren. Das ist eine herrliche Krüppelgarde, die hier auszieht, der Erste kann nicht gehen, daß man ihn auf dem Rücken tragen muß, der Andere hinkt, der 3te will nicht gehen, der 4te hat einen anderen Weg vor usw. Man muß sehr aufpassen, daß keiner durchgeht, denn man weiß nie, was für verrückte Gedanken ihnen kommen, dann bekommt einer einen An| fall, man muß neben ihm knien, ihn stützen den Schaum u. Blut abwischen, u. ihn halten, sonst rennt er durch, inzwischen haben sich die Anderen zerstreut u. man muß sie wieder zusammenbringen, kurz es ist eine arge Rennerei. Nachher ist Kaffee u. um 1/27h Nachtessen u. dann gehen die Jungens ins Bett. Die Station muß noch aufgeschrubt werden, dann habe ich frei. Es ist also ein ungewohntes Leben, aber doch sehr schön. Die Vernünftigeren der Jungens sind sehr dankbar, Andere sind ja viel zu dumm dazu, u. vor u. nach den Anfällen, sind sie recht ungut, aber es ist doch wieder schön mal ein bisschen für die Menschen tun zu können. Vor allem schrumpft unser bisschen Ärger u. Trübes, Zweifel u. Mißgeschick zusammen gegen das Elend dieser Kinder, die unter einem elenden Leben nur immer mehr verblöden, u. doch sagen sie am liebsten: "Gott ist die Liebe, er liebt auch mich" Das ist Theologie der Blöden.

Es grüßt herzlich
Dein Alfred

Eine herzliche Empfehlung an Deinen Vater, Schwester u. Fräulein.

Entschuldige die Eile ich muß gleich zum Dienst.

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