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Berlin, den 3.10.06.

Lieber Paul,

endlich komme ich dazu Dir einmal länger zu schreiben. Es war in letzter Zeit so viel vor, daß wir meist vor 12 Uhr nicht ins Bett kamen; Zuerst aber die Nachricht, daß Harders einen kleinen Buben haben; am 25. Oktober. Was sagst Du dazu? Schreib ihnen doch noch! Dein heutiger Brief1] handelte ja leider wieder von – Prinzipienstreit. Fängt das nun wieder von neuem an? Dann hast Du| ja für die übrige Menschheit (d.h. für den weiblichen und nichtwingolfitischen Teil) so gut wie verloren. Nun hoffentlich ist das nun endlich die Krisis, die allem Streite ein Ende macht und Dich uns wiedergibt! Das ist ja schön, daß Ihr soviel tüchtige "lb. Brüder" habt, Halle ist doch gut dran. Vom Berliner W.ingolf haben wir noch nichts gehört. – Frl. Toni war jetzt 3 Tg. in Landsberg, sie wird Dir wohl dann erzählen! Montag war ich mit Lucie (der Du auch einmal schreiben kannst!) im Opernhaus: Carmen. Es war herrlich! Eine Leidenschaft u. ein Feuer liegt darin! Nur,| von den ersten Kräften gesungen, da müßte man ja mitleben, mitdenken, mitfühlen! Es ist doch etwas anderes als ein Schauspiel. Während man bei letzterem immer den Gedanken hat, es sind ja nur Schauspieler, deren Worte man hört und die schnell verklungen sind, durchlebt man in einer Oper jeden Ton mit. Ich weiß nicht, ob Du verstehst, was ich meine, ich kann es Dir auch nicht so klar sagen. Die Musik ist jedenfalls die schönste machtvollste Kunst!! Meinst Du nicht auch?

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Dienstag war ein Theeabend und bibl. Besprechung. Dann habe ich noch Papa lange vorgelesen. Diesmal nichts Wissenschaftliches; sondern von Zahn einen Roman: die Clarie-Marie. Von demselben Verfasser, dessen Buch: Albin Indergand uns Erich H. in Misdroy vorgelesen. Wenn Du letzteres (das schönste) einmal erhalten kannst, so lies es, Du mußt sie lesen, vielleicht in Euren Familienabenden! Mittwoch war Bibelkränzchen bei Crisollis, ziemlich öde!!! Donnerstag war Bibelstunde. Dann waren wir bei Sydows. Nun muß ich Dir eine erste Strafpredigt (im Auftrag v. Frau von Sydow) halten. Erstens Mal, daß Du nicht dort warst! Zweitens ist Eckard schon böse u. traurig, daß Du nicht für seine Karte mit d. Photographien gedankt hast. Er glaubt nicht mehr der Freundschaft. So hat er an seine Mutter damals geschrieben! Und Frau v. Sydow möchte so gerne daß Du ihm etwas Freundschaft entgegenbringst. Also lieber Paul, schreib ihm mal einen längeren Brief.

Nun leb' wohl mein l. Junge!
Herzl. Sonntagsgruß v. Deiner J.

Ich schreibe jetzt die Programms, Adressen usw. für die Vorträge! Der erste (Lassen) ist am 20 d.M.

Lieber Paul, der Briefbogen ist voll u. darum heut nur noch herzl. Grüße ich muß für Papa schreiben. D. tr. Tante Toni.

M. l. Sohn;

Es waren diese Woche wieder viel Sitzungen; außerdem nehmen die Vorbereitungen zu d. Vorträgen Zeit fort. Sonst geht's gut. – Was Tante Betty betrifft so sage ihr daß an weiblichen Tillichs nur ledige oder Witwen zur Stiftung aufgefordert wurden, da sonst d. Mitgliedschaft ins unendliche sich erweitert. So sei es auch mit Tante Glocke u. ¿¿¿ ¿¿¿ Jedoch könnte man vielleicht Rat schaffen, indem d. verhinderten Tillichs ¿¿¿ ¿¿¿ wir für ihre Person nicht aber für ¿¿¿ ¿¿¿ Sage das Tante B. u. frage, was sie darüber meint!

Gruß u. Kuß D. tr. V.
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    Personen:

    Orte:

    Literatur:

    • Zahn, Ernst, Albin Indergang, Huber, Frauenfeld 1901 
    • Zahn, Ernst, Die Clarie-Marie, DVA, Stuttgart 1905