|
den 18.04.1922

Geliebte Hanna,

der Brief der ersten wilden, wahnsinnigen Angst um Dich liegt im Kasten und sofort beginne ich den zweiten. Ich habe inzwischen Dein Wort von Glaube, Liebe, Hoffnung gelesen. Ich danke Dir dafür, es war der Balsam des barmherzigen Samariters in meine klaffenden Wunden. Hannah Du kennst mich doch nicht: Du bist mir nie Zufall gewesen, sondern immer heilige Erfüllung; und doch hast Du Recht, daß ich aus dieser Erfüllung Zufall machte; ich war in tiefster Schuld und Du reißest alle Hüllen von mir; Du quälst mich unsäglich und erhöhst mich unendlich; ich liege menschlich gebrochen vor Dir, nicht vor Dir mit Deiner Wildheit und vielfachem Mißverstehen, sondern vor der Unerbittlichkeit des inneren Gesetzes, das aus Dir spricht. Darin bist Du ganz, restlos Sieger. Über alles Sachliche, alles Geistige müssen wir kämpfen. Hannah, versuche nur einmal, Dich hineinzuversetzen in mich, daß ich das mit Margot nicht als Zerspaltenheit empfand; versuche nur, meine Gefühle zu verstehen,| lege nicht das objektiv-Falsche als subjektiv-Falsches in mich hinein. Tu es nicht, weil ja in dem Augenblick, wo Deine Briefe mir das Objektive enthüllten, der Entschluß in mir feststand, dem auch objektiv nachzugehen was subjektiv als einziger Wille und einzige Möglichkeit in mir war. Ich habe durch Dich die höchste und einzig mögliche Form des Verhältnisses zu Margot gefunden, das ich immer gemeint, aber nicht gesehen hatte, weil das Erotische mich verblendete: die Liebe die ihre Vollendung im Verzicht hat. Erst jetzt waren wir uns ganz nah, erst jetzt ganz frei und ganz aufrecht. Sie selbst wird Dir schreiben. – Hannah noch ein Ruf an Dich aus tiefster Angst und Not: Wenn Du sagst: „Es ist zu spät“, wenn Du nur 7 x verzeihen konntest und nicht 70 x 7x, dann hast Du meine unsterbliche Seele auf dem Gewissen, dann hast Du mich in die äußerste Finsternis gestoßen. – Du hättest mich besser verstanden, wenn Du meine Briefe vom November 1920 ganz in Dich aufgenommen hättest; dann hättest Du gewußt, daß Vieles, was Du Schwachheit nennst, das was auch Schwachheit war, auch furchtbar schwer erkämpfte Überzeugung war.| Ich stammle heut nur; aber es ist meine einzige Erlösung, daß diese | grauenhafte Maßlosigkeit des Fernseins, die mich im Krieg so oft zerquält hat, jetzt wieder kommt! Daß solche Briefe, wie Deine, Tage lang liegen ohne Lösung!| Es ist Montag Abend und ich will die Fasern meiner Seele zur Arbeit zwingen.

Dein unglücklicher Paul.
    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen: