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den 01.11.1921

Hannah, Du Geliebte!

Erst habe Dank für Deine Briefe, die mich erschüttert und beglückt haben! Deine Gedichte sind lebensvoller als früher; noch sind sie schwer beladen mit Gedanken; aber das ist bei Dir ja nicht Reflexion, sondern Leben! – Ich habe die letzten Tage in Bremen und die ersten Tage hier geschwiegen, und es war gut so. Denn sie haben mir Erschütterndes gebracht, nicht äußerlich aber innerlich; gestern, der 28. Oktober war einer der schwersten Tage meines Lebens: Ich habe mich unter unsäglichen Qualen losgerungen von dem, was meine Seele zerstörte. Dein Wunsch, daß der Geist Gottes in mir stark werde, hat sich erfüllt in einem ersten Ansturm, der mich zu Boden warf. Es waren die Tränen von zwei Frauen, der Ausdruck tiefer Leiden, die wie Gebete zu Gott monatelang empor gestiegen waren; Leiden, die geboren waren aus ihrer vollkommenen Liebe zu mir und meiner Schuld, sie nur unvollkommen, zuletzt nur als Mittel zu bejahen; es war aber auch der Gedanke an Dich; und daß ich Dich habe gehen lassen; daß ich nicht stark genug war, Dich zu erlösen von dem Dunklen, Unfaßlichen, was in Dir war und Dich hinzog, wo Du nicht hin wolltest.

Ich habe an alle Menschen in Berlin geschrieben, daß ich mich in die Einsamkeit zurückziehen wollte, daß ich wieder rein und stark werden wollte, daß ich geben und nehmen wollte, wenn ich wiederkäme als ein Sieger, nicht als ein Sklave. – Es traf sich, daß gestern mein Zimmer unten aufgelöst und nach oben getragen wurde, da Frl. Bussian mir gekündigt hatte. So war auch äußerlich dokumentiert, daß Neues werden muß. Ich schaudere vor dem Kampf in diesem Ort der Erotik auf jeder Straße, in jeder Bahn; ich schaudere vor den Qualen der Sehnsucht nach dem vergangenen Glück, auch nach der vergangenen Qual mit ihrer ungeheuren Lebensfülle. Aber es muß jetzt sein; vielleicht ist es auch ein Büßen der Schuld, um rein zu werden für | Dich! Noch weiß ich nicht, was die Menschen sagen werden. Als ich heut erwachte, war mir, als ob alle gestorben wären, so grauenvoll einsam fühlte ich mich; ich wollte mich trösten mit Dir, aber auch da steht ja etwas, was mir bittere Schmerzen macht, meine Schwachheit, daß ich Dich ließ; so habe ich nun nichts, als den Gott und meine Arbeit und wie ich hoffe, mancher Gedanke und Wunsch der Liebe von den Menschen, von denen ich mich getrennt habe – und in der Ferne ein Leuchten, das Du bist – – – wenn anders ich stark bleibe, Deiner wert zu werden.

Hannah verstehst Du mich; ich flehe Dich an verstehe mich; ich will mich rein machen für Dich; stark machen für mein Werk, heilig machen für Gott. Hannah schreibe mir viel! Hilf mir mit Verstehen!

Und nun Dein Kommen! Es ist mir alles Leben in dieser Zeit! Und doch: Mit Tränen im Auge schreibe ich diese Worte: Wenn die Alternative besteht, jetzt oder im Januar; wenn nur eins von beiden möglich ist, so komm im Januar! Ist beides möglich, so komm auch jetzt und unsere vollkommene Liebe wird diese Tage heiligen

Hannah, noch gehe ich umher, halb bewußtlos, mit einem tiefen Schmerz, meiner selbst nicht mächtig, und doch ¿¿¿ ... ¿¿¿ sehend, daß ich Dich nie hätte haben können, wenn ich das nicht tun würde, was ich tue; daß ich Dich nie haben werde, wenn ich nicht stark bleibe.

Hannah, hilf mir.

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