Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich ohne Datum, vermutlich 1922

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Der editierte Text

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Geliebte a!

Hab Dank für Deinen Brief, der am Montag früh ankam und mich von großer Unruhe befreite.1 Es ist alles sehr schön, was Du schreibst. Nur den inneren Kampf mußt Du allein auskämpfen. Da kann Dir niemand und nichts helfen als allein die Gewißheit, daß die höchste Liebe zugleich die höchste Wahrheit ist, und daß Leidenmachen um der Wahrhaftigkeit des innersten Lebens selbst eine Tat der Liebe ist. Ich könnte das vielleicht nicht so schreiben, wenn ich nicht unter dem außerordentlich starken Eindruck der Persönlichkeit von b stünde, der gegen mich und andere diese Art der Liebe dauernd und schonungslos anwendet, und der mir dafür immer mehr wert und lieb wird; denn seine Kritik stammt, selbst wo sie sachlich irrt, aus der unbedingten Wahrheit stärksten persönlichen Lebens. Ich habe in den beiden Tagen, wo ich dort war, einen tiefen Einblick in das ekstatische Wesen dieser heroisch-religiösen Ethik gewonnen, und kann meine Einreihung dieses Typus in den reinen Formtypus nicht aufrecht erhalten; hier liegt mehr vor, das Bewußtsein um die absolute Einzigartigkeit| ethisch bedingten persönlichen Lebens, dieses aber in einer Höhe und Übergesetzlichkeit, daß es selbst die Schranken des bloß Ethischen sprengt. Vielleicht ist |:es:| der reifste, männlichste, stärkste Typus überhaupt, derjenige, den das Abendland allein hervorgebracht hat, und der ihm die Weltherrschaft gegeben hat. Freilich zahlt er einen hohen Preis: Er verliert die Natur, er verliert das Dämonische, er verliert die Kunst, er verliert die intuitive Wahrheit, den Eros und die Mystik. Darum habe ich ihn bisher abgelehnt; aber mir ist doch oft, |:als:| ob alles, was unter ihm zurückbliebe, nicht die Tiefe des Menschheitlichen erreichte, sondern den Menschen auflöste in einen Natur- oder Geistesprozeß. Es ist zweifellos ein jüdisches Element, das bei c hier durchwirkt; aber das Gleiche, dem wir die Bibel verdanken. – Über die Einzelheiten habe ich ausführlich an d geschrieben, der Dir den Brief2 zuschicken soll. Augenblicklich ist e da und hilft nähen. Sie schreibt die Adresse; die übrigen habe ich bei f bestellt. Ich bin sehr gespannt auf die Aussagen des Arztes, und bitte Dich, mir recht genau zu schreiben! Ich bin noch etwas müde von all den Tagen.

In viel Liebe, Sehnsucht und Glück.
Dein g.

Fußnoten, Anmerkungen

1Liegt nicht vor.
2Liegt nicht vor.

Register

aTillich, Hannah
bHirsch, Emanuel
cHirsch, Emanuel
dFritz, Alfred
eWerner, Marie Luise
fStorch, Lotte
gTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard, Harvard Divinity School Library, Tillich, Hannah. Papers, 1896-1976, bMS 721/2(18)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
unbekannt - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich von März 1921
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 29. Oktober 1920

Entitäten

Personen

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich ohne Datum, vermutlich 1922, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L01332.html, Zugriff am ????.

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