Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 30. Juli 1933Das Briefmanuskript ist undatiert. Der Kontext ermöglicht die Datierung.Das Briefmanuskript ist undatiert. Der Kontext ermöglicht die Datierung.

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Sonntag Nachm.

Liebste Hannah!

Inzwischen deine beiden Telegramme erhalten!2] Das erste war verstümmelt. Dr. Sp. ist gestern hier angekommen und ich konferiere mit ihm Montag früh.3] Er spricht über die technischen Einzelheiten mit mir. Sonnabend habe ich erst stundenlang telephoniert, dann den Koffer nach Tempelhof gebracht (dank M.L's Schlüssel); dann war ich zum Mittagessen | bei Grim.me's; er hat noch einiges Gesparte. Von 1. Nov. ab nichts mehr. Er ist der allerdringendste Fall. Ich habe gedacht, daß er mit Carolus zusammen vielleicht ein Volksschulheim irgendwo aufmachen soll. Carolus soll sich das mal durch den Kopf gehen lassen. – Hans4] geht es nicht gut; er hat sehr Schweres erlebt. Er ist da, wo er ist, durch die Tapferkeit und unermüdliche Energie seiner Frau5]. Immerhin ist er restlos ausgeschaltet, darf sich nicht rühren, kann nicht weg und ist mit den Nerven ganz am Ende. – Grimme kommt zu uns, wenn wir ihn ganz einladen, was ich tat. – Zwischendurch | eine halbe Stunde mit Evamaria Klotz, die sehr fein und gewieft ist und in vollster Empörung. –

Dann im Küssel;6] dort allerhand Jungens vom Kunstdienst7]. Vor dem Abendbrot allgemeines Baden (so daß ich keinen Tag ausgesetzt habe) Am Abend mit den 4 Besprechung des Emilschen Prospektes.8] Starke Kritik an der Besetzung, die in der Tat infolge des Fehlens der Frankfurter recht fragwürdig ist. Darum ist das zweite Telegramm sehr wichtig. Diese Kombination kann sehr gut sein. Trotzdem wie zu erwarten, im | Küssel stärkste Tendenz für Hierbleiben. Heut früh Rudern mit Dox, dem Entlassung ohne Pension droht und der höchst deprimiert ist. Unter Umständen muß man auch für ihn was tun. Dann wieder Baden und Abfahrt zu Seeberg, von dem ich jetzt komme, um zu Frede zu fahren (dazwischen im Kaffe Vaterland den Brief schreibend.) Seeberg über alles sehr pessimistisch, hält den Ruf nach draußen für eine Fügung, um dem kommenden Unheil zu entgehen (Weitere Weltwirtschaftskrise wegen Scheiterns der Verständigungen). Meint, daß ich hier auf einer bindenden Zusage bestehen müßte. – Morgen Nachmittag Schneider | vom Kunstdienst, der sehr viel weiß, auch daß man sich über mich sehr den Kopf zerbricht. – Eckart zu einer Ausgrabung gereist, reist Montag an. – Man hat hier das Gefühl, daß die stärkste Negativität bei großen Massen eingesetzt hat. – Auf Bahnhof Grunewald traf ich auf 5 Min. Sohn-Rethel, mit einem Mitglied des Blätterkreises9], der mir sagte, er hätte gehört, daß Leiden, Holland, mich als Professor haben wolle. Ich weiß nichts davon. – Das Exposé ist sehr schwungvoll und | gut. Die Sache sieht auch sicher aus. Wenn nur bessere Leute dabei wären! - - Über Erdmuthe noch nichts gehört; vielleicht muß ich Mittwoch doch noch bleiben.

Leb wohl, liebste, süße Hannah!
Grüß die andern!
Dein Paulus
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    • Tillich, Paul, Das Wohnen, der Raum und die Zeit. Rede anläßlich der Einweihungsfeier des Hauses auf dem Küssel in Potsdam, in: Die Form, Jg. 8 (1933), S. 11f. 
    • Neue Blätter für den Sozialismus. Zeitschrift für geistige und politische Gestaltung, hg. von Eduard Heimann, Fritz Klatt und Paul Tillich, 1930ff.