Brief eines unbekannten Verfassers an Paul Tillich vom 3. oder 4. Juni 1933

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Frankfurt a. M. – Römerstadt, Im Heidenfeld 561]
Pfingstheiligabend2]

Lieber Till!

Ich hab mich über Seine Grüsse gefreut,3] und so macht es mir Spass, gleich zu antworten. Ich wollte neulich schon einen Brief ins Blaue starten: "An den ruchlosen Verfasser von..., - Deutschland." Der wäre sicher angekommen! Es hat uns so leid getan,dass wir einander gar nicht mehr gesehen haben. Ich hatte doch Seiner Frau sozusagen versprochen, Ihn zwecks Aufheiterung öfters vom Hause fortzunehmen, mit dem Auto. Das ging dann nicht, weil ich so lange auf meinen Führerschein warten musste, - die elende Polizei hat meine Papiere so langsam erledigt. Kaum hielt ich ihn in der Hand, als ich bei Ihm, d. h. Gaby, anrief, 3 Mal am selben Nachmittag! Aber er war auf irgendeiner Lust-Tournee, u. ich hab Ihn nie wiedergesehen.

Von Heimann hörte ich später, dass dies Sein letzter Tag in Frankfurt gewesen sei. Reiseziel wusste der arme Imbezille nicht. Ich freue mich nun, dass man (=Plural von "Er") nach Rügen gegangen ist, ich hab Ihm das doch damals so warm angepriesen.

Meine 1. Ausfahrt hat dann (mit mir ganz allein!) Heimann durchgemacht, der einem ja in jeder Beziehung restlos zu Gebote steht. Das ging schon | flott, vorläufig so 90 Stundenkm. Heimann barst schier vor Bewunderung (dazu gehört bei ihm nicht viel) u. hat meinen Ruhm inzwischen weit verbreitet.

Jetzt hab ich dem Auto grössere Düsen gekauft, u. nun kann es 120 km. Leider sehe ich einem Strafmandat entgegen. Meine theoretische Prüfung verlief sehr witzig. Ich hatte ein dafür übliches Buch furchtbar flüchtig durchgelesen u. auch komplett begriffen, nur nicht besonders auf all die mir fremden technischen Ausdrücke geachtet. So wimmelt es in meinen Antworten vor ¿¿¿, Hütten u. Zweiaktern.

Rhotert ist seit einer Woche leider mit Auto u. mit Frobenius darin fort an den Lago Maggiore, wo der 60 Jahre zu werden Drohende ein kleines Landhaus besitzt. Er hatte uns beide eingeladen, aber ich hab lieber verzichtet, weil seine Frau mit ist. Selbe ist berüchtigt für eine böse Zunge, mit der sie besonders heimtückisch nach Frauen zu stechen versteht.

Gestern hab ich Frobenius neuestes Buch in Manuskript korrigiert, eine riesig umfangreiche Schwarte.4] Ich hatte es verschwitzt und musste es deshalb ganz u. gar an einem Nachmittag machen. Hat 8,50 M gekostet (weil ich nämlich in der Bodega sass, um abwechselnd mit Kaffee, Cognac u. Wermuth mein Arbeitstempo zu steigern). Jede Stunde kam ein Kurier vom Institut u. holte das inzwischen Fertige ab für den Druck. Ich kam mir wichtig vor! Den Abend beschloss ich im schwarzen Stern u. kam auf Spiralen nach Hause. Ich bin ja Junggeselle.

Zur Zeit ist es für mich so, dass es in Frankfurt niemand gibt, an dem zu hängen sich lohnte. Dieser Umstand macht mir Seine (wenn ich so sagen darf:) Neigung spät u. nachträglich in etwa wertvoll. Bitte viele Grüsse an Gnäfrau. Schreib Er mal wieder dem Häuptling|

Ich5] weiss mit der Adresse nicht Bescheid. Müsst ich Ihn als beurlaubten Professor wohl besser bezeichnen als "Genosse Tillich"? Übrigens "Meeresgruss"! Was Kitschigeres konnte Er wohl nicht finden? Ich kann mir nicht versagen zu schreiben:

Grüss er mir mein geliebtes Meer, ¿¿¿.

Bitte beigefügte Urkunde unterschreiben u. wiederschicken!6] (Er hat es mir mündlich versprochen, aber schriftlich ist mirs sicherer).

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    Personen:

    Orte:

    Literatur:

    • Frobenius, Leo, Kulturgeschichte Afrikas. Prolegomena zu einer historischen Gestaltlehre, Zürich 1933.