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2. Juni 33 in meiner weltfernen Büchergrotte1]

Lieber Herr Tillich,

Komisch-tiefsinnig-natürlich dass ich heut von Ihnen höre: wohlvorbereitet durch ein Zeitungsreferat über einen Vortrag hierselbst betreffend- na irgend etwas Schreckliches, wo völkisch-politisch philosophisch polemisch gefaselt wurde. Mein Sohn fragte mich, wieso denn die Philosophie versagt habe; worauf ich mich vermass zu antworten, Es ist nur recht und tillich zu bekennen, dass damit Herr T gemeint ist. – Hörend dass Sie und Gehmahlin bei Ihren Freunden O.ppenheim weilten, rief ich dort an – aber 2 Posttage zu spät, um Sie womöglich noch einmal zu sehn. Nehmen Sie den Willen für die Tat. – Hoffentlich erholen Sie sich dort oben, und bekommen Lust zu neuer Arbeit. Ich zwinge mich zu arbeiten, aber es "fluscht nicht" wie der Berliner sagt. Dafür bilde ich mich still und altmodisch, vergleiche Jaspers mit den Indizien in fremden Ländern, zumal Albion2], und lese in dreitausend Jahren goethisch herum. – Der berühmte Altphilologe-liest wieder,3] was sagen Sie dazu. Man sagte mir schmunzelnd, man habe ihn etwas bearbeitet in Bezug auf die Form seines Gesuches; und dann nach Berlin geschrieben, er könne auch anders... Glauben Sie das?- Ausserdem habe ich ein Verspaar gereimt in sklavischer Ausnutzung eines englischen Wortes, das leider Prosa war. Daran können Sie ermessen, wie ich zur Zeit verfasst bin.


Geburt ist Risiko und Agonie
Das wissen Schöpfer,-Rezensenten nie.

Ich schreib es mir zur Warnung, da ich ja eine riesige Literaturhistorie- zunächst denke, und dann kondensiere, bis der Stein der Weisen in meiner Hand Wasser ausschwitzt, auf 112 Seiten!| Vom Academic Assistance Council haben Sie wohl gehört, ichnzweifle sogar nicht dass Sie in den Listen sind; es waren zunächst 164 Namen. Auch unser Somm.erfeld steht darauf. Morgen sehe ich unsern historischen Freund wieder, nach langer Zeit. – Ich starre zuzeiten mesmerisiert wie ein Kaninchen auf das Reptil der äusseren Not, die so unheimlich wachsend sich nähert, ja jetzt schon feste Umrisse hat. Nun soll ich auch noch Ehhstandsbeihilfen beisteuern, dh hunderte neue Steuern unter diesem Namen aufbringen. – Schweigen wir davon, so interessant es ist.–

Dieser Brief ist erratisch, und kann höchstens für sich anführen, dass er Ihnen nicht zu viel zumutet dort oben. Pflegen Sie Ihre Nerven nur ordentlich, dh leugnen Sie zunächst deren Existenz, ausser dem liegen Sie viel flach. Heut nachmittag sind wir zu dringender Fakultätssitzung eingeladen, Professor für Kriegswissenschaften. Wenn wir Laien dadurch die Kunst der Eumachie lernen könnten, wäre es schön. Aber ich habe das Gefühl, solches Fach gehört in die Kriegsakademie – die die Feinde uns ja verboten haben. Uebrigens sehe ich dass da ein Wortspiel steckt; finden Sie es?- Mein Vater war lange Lehrer an der Kgl Kriegsakademie, und hat das sehr geschätzt – Ich las ein Heft der neuen Zeitschrift Volk im Werden- es ist sicher nicht alles verkehrt was da gesagt wird, aber die Formen schrecken mich, und ausserdem ist Manches wirklich noch schlimmer in Wirklichkeit, als es da erscheint. – Aldous Huxley sagt "Jeder Gesichtspunkt ist falsch". Wer hat also recht?- Es ist jetzt Kairos dass ich stoppe. Geniessen Sie das anerhythmon gelasma der Wellen,5] und lassen sich davon anstecken. Der Dichter sagt: Ich beschreite die Erde, trinke die Luft, fühle die Sonne; habe Geduld meine Seele, es ist nur für eine Zeit.." Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag..

Leben Sie wohl, Sie autos, und Ihr angetrautes Weib Hannah. Sehn wir uns auf einer Nordseeinsel, so lächeln wir, und diskutieren sodann die Läufte der Zeit, die so hidrotisch wie karminativ sind.

Chaire kai oneso!
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    Personen:

    Literatur:

    • Aischylos, Der gefesselte Prometheus, in: Ders., Werke, übersetzt von Johann Gustav Droysen, 2. Auflage, Berlin 1842, S. 409-453. 
    • Volk im Werden, hg. von Ernst Krieck, 1933-1943.