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Dresden, den 19. 12. 28 Elisenstr. 111]

Lieber Herr Seeberg!

Erst heute nach unendlicher Arbeit komme ich dazu, Ihren Brief2] zu beantworten. Zu der Berliner Angelegenheit selbst möchte ich nichts mehr sagen. Es hat keinen Zweck, über Vergangenem zu brüten. Und über das, was werden soll, können wir vielleicht, wenn ich in den ersten Januartagen in Berlin bin, reden. Nur auf eins möchte ich noch eingehen, Ihre Frage wegen der Vorlesungen in Leipzig. Der Vorwurf des "Dürr" und "hoch" bezieht sich sicher auf die erste Hälfte meiner Vorlesung über "Die religiöse Erkenntnis"3], deren zu grosse Abstraktheit ich dann selbst bemerkte, und abstellte. Ich rede seitdem völlig frei (genau wie in Reichenhall4]) und schon dadurch weder abstrakt noch dürr, sondern wie man mir immer wieder sagt, und zwar grade von Seiten von Pfarrern, unmittelbar aus dem Leben heraus, wenn auch nicht aus der Schicht, in der man Anekdoten erzählt. Die Zahl meiner Hörer in Dresden beträgt jetzt etwa hundertundzwanzig, obgleich höchstens ein Dutzend Religion als Wahlfach haben, also bei mir hören müssen. In Leipzig ist die Zahl immer über dreissig gewesen, beträgt jetzt fünfzig, obgleich ich überhaupt keine Pflichthörer habe. Davon gehören die Hälfte anderen Fakultäten an, die andere Hälfte sind Theologen. Nach dem Urteil meiner Kollegen sind meine Hörer die wenigen, verhältnismässig regen und interessierten unter den Leipziger Studenten, meistens ältere Semester, Doktoren, Pfarrer usw. Dieses zum Faktischen. — Das "Sich-Rühmen-Müssen" ist eine böse Sache.

Viele herzliche Wünsche zu Weihnachten und Neujahr und hoffentlich auf Wiedersehen in Berlin Ihr
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    • Tillich, Paul, Nichtkirchliche Religionen, in: GW V, 13-31.