Der editierte Text

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a, d. 1. Nov. 19281
Lieber Herr b!

Von einem Hamburger Vortrag2 zurückgekehrt finde ich Ihren Brief3 vor. Haben Sie herzlichen Dank für das Vertrauen, das aus ihm spricht! Hätte ich auch nur die geringste Ahnung von einer Verstimmung gehabt, ich hätte selbstverständlich geschrieben. Mir fiel nur auf, dass Sie mir am Bahnhof etwas abwesend die Hand gaben. Aber ich führte das nach meiner eigenen Psychologie darauf zurück, dass Sie noch mit einem auf dem Wege angefangenen und nicht erledigten Problem (Ich glaube über den Aufbau der 'Praktischen Theologie') beschäftigt waren. Vielleicht wurden wir auch beide gegen Schluß dieses recht inhaltsvollen Tages etwas müde. Jedenfalls habe ich nur eine leuchtende Erinnerung an den ganzen Tag und die Gespräche mit Ihnen. Es tut mir Leid, dass das für Sie nicht ganz so war und ich würde es sehr bedauern, wenn ich unbewußt und ungewollt die Ursache davon war. Übrigens bedaure ich es unter diesen Umständen noch mehr, dass ich Sie in der zweiten Oktoberwoche vergeblich angerufen habe. Ihr c antwortete, dass Sie verreist wären. Ich nehme an, nach d.4 (Was haben Sie für Eindrücke? Ich bin absichtlich nicht gekommen, da ich in der jetzigen Lage nicht in Erscheinung treten wollte.)

Was die Kirchlichkeit meiner Theologie betrifft, so verstehe ich Ihre Bedenken. Sie sind aber wesentlich darin begründet, dass ich mich zwar lebensmäßig von der Kirche her, aber arbeitsmäßig zu der Kirche hin entwickelt habe. Diese zweite Entwicklung ist unserer Lage gemäß sehr lang und mühsam. Aber ich halte ihn sie für fruchtbarer als den selbstverständlichen Einsatz in der kirchlichen Situation. Daran liegt es, dass noch wenige Dokumente veröffentlicht sind, aus denen die Erreichung des Zieles klar sichtbar ist. Das größte, meine Dogmatik, liegt seit Jahren in meinen Kollegheften und zahlreichen Vorarbeiten zum Druck.5 Aber vielleicht kann ich Sie statt dessen auf die letzte Tagung von Berneuchen in der ersten Oktoberwoche hinweisen. Ich hatte dort das Sakra Referat über "p" und habe dabei in Kampf mit dem Symbolismus der Berneuchener eine realistische Auffassung des Sakramentalen durchgesetzt. Das hatte sofort Konsequenzen für die Gestaltung der Berneuchener Liturgieen, die ja infolge der nicht geringen Zahl von Pfarrern, die sie benutzen, eine nicht unwesentliche kirchliche Bedeutung haben. Und ich habe selbst in der 5tägigen 14stündigen gemeinsamen Arbeit an der Bereinigung der Formulare energisch mitgearbeitet. Ich bin jedesmal überaus dankbar, wenn mir eigentlich kirchliche Aufgaben gestellt werden, und wäre es eine grundsätzliche Klärung des Verhältnisses von Kirche und Innerer Mission, das Thema der ersten Tage von Berneuchen.

Es ist mir nicht ganz leicht, hier Anwalt in eigner Sache zu sein. Darum würde ich Sie bitten, falls Sie es für angemessen halten, eventuell mit diesem oder jenem Teilnehmer von Berneuchen in Verbindung zu treten. So q und r in s, tu, vw, xy.

Meine herzlichen Grüße an Sie und Ihre z.
Mit Dank für vergangene und eventuelle kommende Bemühungen in meiner Sache!
Ihr
aa

L. R.: Bitte um Rückgabe dieses sehr anständigen Briefs, den ich zu Deiner Kenntnis bringen möchte. Herzlich grüßend
2. XI. 28 ab6


Fußnoten, Anmerkungen

1Erklärende Anmerkungen zu vorliegendem Brief wurden (ggf. geringfügig abgewandelt) aus seiner Erstveröffentlichung übernommen.
2Nicht ermittelt.
3Dieser Brief liegt nicht vor.
4Gemeint ist der 2. deutsche Theologentag in Frankfurt am Main (9.-12. Oktober 1928). Über seine Teilnahme berichtet e in seinen Briefen an f vom 2. u. 13.10.1928, in: g Vgl. auch h
5Das Manuskript der "Dogmatik" liegt in 18 Kollegheften vor (im Paul Tillich Archiv der Harvard Divinity School Library in Cambridge, Mass.). Tillich hat die Dogmatik-Vorlesung in Dresden vom Wintersemester 1925/26 bis zum Wintersemester 1926/27 und gleichzeitig an der Theol. Fakultät in Leipzig gehalten, nachdem er im Sommersemester 1925 die Vorlesung in Marburg nur begonnen hat. Am j (Verlag Mohr, Tübingen)i: "Ich beabsichtige meine im Sommersemester 1925 in Marburg mit grossem Erfolg gehaltene Vorlesung über Prolegomena zur Dogmatik zu veröffentlichen und im Anschluss daran die Dogmatik selbst, die im Werden ist. Zunächst würde es sich um die Prolegomena handeln, denen wir natürlich einen anderen, mehr aus der Sache geborenen Namen geben müssten." Am 17.6.1926 kam aber ein Vertrag mit dem Reichl-Verlag Darmstadt zustande. Dort sollte seine Dogmatik unter dem Titel "Die Wissenschaft vom religiösen Symbol (Dogmatik)" erscheinen. Der 1. Band sollte die "Grundlegung", der 2. Band den "Aufbau" enthalten. Tillich hat dann nach Differenzen mit dem Reichl-Verlag von einer Publikation Abstand genommen. Tillichs Vorlesungsmanuskript wurde zunächst von k veröffentlicht unter dem Titel "l", sodann neu hrsg. von m und n (o).
6Notiz von Erich Seeberg am Anfang des Briefes, vermutlich für Ministerialrat ac bestimmt.

Register

aDresden
bSeeberg, Erich
cSeeberg, Bengt
dFrankfurt am Main
eSeeberg, Erich
fHermann, Rudolf
gWiebel (Hg.), Rudolf Hermann - Erich Seeberg. Briefwechsel 1920-1945, 2003
hPfennigsdorf (Hg.), Der Erlösungsgedanke. Bericht über den 2. deutschen Theologentag in Frankfu..., 1929
iBrief von Paul Tillich an Oskar Siebeck vom 28. Januar 1926
jSiebeck, Oskar
kSchüßler, Werner
lTillich, Dogmatik. Marburger Vorlesung von 1925, 1986
mSchüßler, Werner
nSturm, Erdmann
oTillich, Dogmatik-Vorlesung (Dresden 1925-1927), 2005
pTillich, Natur und Sakrament, 1930
qSchweitzer, Carl Gunther
rSchreiner, Helmuth
sBerlin-Spandau
tStählin, Wilhelm
uMünster
vCordier, Leopold
wGießen
xRitter, Karl Bernhard
yMarburg
zSeeberg, Margot
aaTillich, Paul
abSeeberg, Erich
acRichter, Werner

Überlieferung

Signatur
Deutschland, Koblenz, Bundesarchiv Koblenz, Nachlass Reinhold und Erich Seeberg, N 1248
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Dresden - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Erich Seeberg vom 21. Juni 1928
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Erich Seeberg vom 2. Dezember 1928

Entitäten

Personen

Orte

Literatur

Briefe

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Erich Seeberg vom 1. November 1928, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00994.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00994.pdf