Von einem Hamburger Vortrag2] zurückgekehrt finde ich Ihren Brief3] vor. Haben Sie herzlichen Dank für das Vertrauen, das aus ihm spricht! Hätte ich auch nur die geringste Ahnung von einer Verstimmung gehabt, ich hätte selbstverständlich geschrieben. Mir fiel nur auf, dass Sie mir am Bahnhof etwas abwesend die Hand gaben. Aber ich führte das nach meiner eigenen Psychologie darauf zurück, dass Sie noch mit einem auf dem Wege angefangenen und nicht erledigten Problem (Ich glaube über den Aufbau der 'Praktischen Theologie') beschäftigt waren. Vielleicht wurden wir auch beide gegen Schluß dieses recht inhaltsvollen Tages etwas müde. Jedenfalls habe ich nur eine leuchtende Erinnerung an den ganzen Tag und die Gespräche mit Ihnen. Es tut mir Leid, dass das für Sie nicht ganz so war und ich würde es sehr bedauern, wenn ich unbewußt und ungewollt die Ursache davon war. Übrigens bedaure ich es unter diesen Umständen noch mehr, dass ich Sie in der zweiten Oktoberwoche vergeblich angerufen habe. Ihr Sohn antwortete, dass Sie verreist wären. Ich nehme an, nach Frankfurt4]. (Was haben Sie für Eindrücke? Ich bin absichtlich nicht gekommen, da ich in der jetzigen Lage nicht in Erscheinung treten wollte.)
Was die Kirchlichkeit meiner Theologie betrifft, so verstehe ich Ihre Bedenken. Sie
sind aber wesentlich darin begründet, dass ich mich zwar lebensmäßig von der Kirche
her, aber arbeitsmäßig zu der Kirche hin entwickelt habe. Diese zweite Entwicklung
ist unserer Lage gemäß sehr lang und mühsam. Aber ich halteihn sie für fruchtbarer als den selbstverständlichen Einsatz in der kirchlichen Situation.
Daran liegt es, dass noch wenige Dokumente veröffentlicht sind, aus denen die Erreichung
des Zieles klar sichtbar ist. Das größte, meine Dogmatik, liegt seit Jahren in meinen
Kollegheften und zahlreichen Vorarbeiten zum Druck.5] Aber vielleicht kann ich Sie statt dessen auf die letzte Tagung von Berneuchen in
der ersten Oktoberwoche hinweisen. Ich hatte dort dasSakra Referat über "Natur und Sakrament" und habe dabei in Kampf mit dem Symbolismus der Berneuchener eine realistische Auffassung
des Sakramentalen durchgesetzt. Das hatte sofort Konsequenzen für die Gestaltung der
Berneuchener Liturgieen, die ja infolge der nicht geringen Zahl von Pfarrern, die
sie benutzen, eine nicht unwesentliche kirchliche Bedeutung haben. Und ich habe selbst
in der 5tägigen 14stündigen gemeinsamen Arbeit an der Bereinigung der Formulare energisch
mitgearbeitet. Ich bin jedesmal überaus dankbar, wenn mir eigentlich kirchliche Aufgaben gestellt
werden, und wäre es eine grundsätzliche Klärung des Verhältnisses von Kirche und Innerer
Mission, das Thema der ersten Tage von Berneuchen.
Es ist mir nicht ganz leicht, hier Anwalt in eigner Sache zu sein. Darum würde ich Sie bitten, falls Sie es für angemessen halten, eventuell mit diesem oder jenem Teilnehmer von Berneuchen in Verbindung zu treten. So Schweitzer und Schreiner in Spandau, Stählin – Münster, Cordier – Gießen, Ritter – Marburg.
Meine herzlichen Grüße an Sie und Ihre Frau.Mit Dank für vergangene und eventuelle kommende Bemühungen in meiner Sache!
Ihr
L. R.: Bitte um Rückgabe dieses sehr anständigen Briefs, den ich zu Deiner Kenntnis
bringen möchte. Herzlich grüßend
2. XI. 28 E. S.6]