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den 13.01.1923

Sehr verehrter Herr Ruprecht!

In dieser Woche habe ich das „System der Wissenschaften“ abgeschlossen, nachdem ich seit dem Sommer ununterbrochen daran gearbeitet habe. Wenn ich die Zeit des ersten Nachdenkens über diese Dinge dazu rechne, so sind es fast 7 Jahre, daß ich mich um die Probleme der Systematik bemühe, allerdings mit langen Unterbrechungen. Das Buch, das so entstanden ist, hat naturgemäß eine Reihe von Veränderungen erfahren, und ist etwas ganz anderes geworden, als es im Anfang geplant war. Ich kann wohl sagen, daß von den üblichen Auffassungen der Systematik kein Stein auf dem andern geblieben ist. Es ist eine vollkommene Neuschöpfung in allen Gebieten, und ist das erste derartige Werk seit Schellings Methode des akademischen Studiums“ und HegelsEncyklopädie“. Es ist ein durchgeführtes System, das aus der Grundrichtung der neuen kritisch-intuitiven Richtung der Philosophie geboren ist und sämtliche Gebiete der Wissenschaft in Betracht zieht.

Infolge der Knappheit meiner Ausdrucksweise ist die Länge nicht sehr erheblich geworden: Ich schätze auf cacirca 200 S.eiten im Druck des Natorpschen Heftes 2. Aufl.age Unmöglich war es dagegen, einer solchen Arbeit, die etwas völlig Neues zu schaffen suchte, den Stil einer Einführung in bekannte und gewohnte Sachen zu geben. Ich habe mich trotzdem bemüht, nicht zu schwer zu werden, und der Gedanke, daß es eigentlich als Einführung gemeint war, hat in dieser Beziehung günstig auf mich eingewirkt. Immerhin kommt es nach meinem Urteil als Einführungsheft nicht in Betracht. Ich würde das auch um der großen Arbeit willen, die darin steckt, nicht wünschen. – Ich möchte Sie nun fragen, ob Sie und in welcher Form Sie das Buch herausbringen wollen. Sehr viel wäre mir an schnellem Erscheinen gelegen, da es mein erstes größeres Buch ist und für eventuelle Berufung in eine Professur sehr viel davon abhängt. Ich habe es bisher nur handschriftlich und würde, sobald ich Nachricht von Ihnen habe, es tippen lassen, wozu gegenwärtig eine günstige Gelegenheit sich bietet. Ich füge die Einteilung bei, aus der Sie die Anlage des Ganzen ersehen können. Alles Übrige, auch die Durchprüfung des Ganzen lasse ich von Ihrer grundsätzlichen Antwort abhängen.

Ihr sehr ergebener
P. Tillich.
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    Literatur:

    • Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften