Brief von Margarete Tillich an Paul Tillich vom 2. September 1921

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Der editierte Text

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Lieber Paulus (Details anzeigen),

nun ist alles erledigt. Mein Garten ist verpachtet. Ich bekomme die ersten beiden Jahre 5000, die nächsten 6000 Mk. Pacht. Davon gehen 3300 Mk. Zinsen ab. Ich habe mir oben mein Zimmer nett eingerichtet. Nun muss ich fort, ich kann nicht mehr. Ich schlafe fast nur noch mit Aspirin ein. Aber ich bin sehr zufrieden mit allem. Kürzlich sammelte sich noch so viel elektrische Spannung in mir an, die sich nur durch einen Blitz, d.h. durch eine Dummheit, entladen konnte. Ich kann sie auch heute nicht bedauern, ich musste mich frei machen. Erstens durch das Reden mit Bendix (Details anzeigen), zweitens durch die Mitteilung aus meinen Handlinien, dass auch diesen Jungen ich nicht behalten würde, sondern ich von meinem nächsten Mann ein Genie haben würde (sage das zu niemandem)[,] drittens durch einen Brief von {Dox (Details anzeigen)}, von zeitweiliger Sehnsucht, Traurigkeit usw. Das machte mich gegen ihn so wild, dass ich ihm sehr grob schrieb, ihm auch von dem Jungen erzählte, dass ihn das sicher freuen würde zu hören, da er dann kein Geld mehr zu geben brauchte usw. Es war nicht nötig, aber ich musste es tun.

Ich weiss jetzt übrigens, zu welchen Leuten ich gehöre. Ich lese von Joel (Details anzeigen)Nietsche (Details anzeigen) und die Romantik (Details anzeigen)Nietsche (Details anzeigen) nur historisch, aber das Wesen und Leben der Romantiker von einer Anschaulichkeit, dass ich nur immer wieder sagen kann, ich bin einer der echtesten Romantiker; ich war es bis jetzt, ohne es zu wissen. Das stimmt alles: „Lebt gefährlich! Baut eure Städte an den Vesuv!“ – um so mehr Glück, je vulkanischer der Boden. Wir sind erst dort in unserer Seligkeit, wo wir auch am meisten in Gefahr sind. - - Trotz alledem spielen sie nur mit der Frivolität. Sie lieben ruchlose, leichtfertige Gespräche, aber sie müssen geistig sein. Sie fühlen sich glücklich in einem riesenhohen Wellengang von Lust und Leid – das Wesen des romantischen Geistes ist, kurz gesagt – die geistige Leidenschaft. Bendix (Details anzeigen) als guter Weltbürger schüttelt den Kopf über mich; es ist unklug, sagt er. Du aber musst meine Seele so bejahen können, sonst nimmst Du mir die Luft zum Atmen. –

Nun noch eine sehr betrübliche Sache, weil Du mich dazumal nicht zur rechten Zeit rausgeschmissen hast. Mir fiel ein, und sprach heute mit Bendix (Details anzeigen) darüber, ob ich eigentlich gerichtlich beschwören könnte, dass ich den Jungen von Dox (Details anzeigen) hab. Ich weiss es nicht mehr. Kannst Du Dich besinnen, wann ich Grippekrank wurde und Frl. Rudolf (Details anzeigen) kam? Du darfst von dem 27 Jan.28 Mai nicht mit mir zusammen gewesen sein. Wie ich gesund wurde, ging ich nach Lichterf. (Details anzeigen) und kam dann nicht mehr zu Dir zurück. Aber was war am 27. Jan, war ich da schon fort? Meiner Ansicht nach[,] wurde ich Mitte Febr. krank, was war in den 14 Tagen vorher? Ich glaube, dass nichts passiert ist, aber ich weiß es nicht ganz genau mehr.

Schreibe darüber sofort an Bendix (Details anzeigen). Es ist eine elende Schweinerei. Ich könnte Dox (Details anzeigen) ohrfeigen, aber das ändert ja nichts.

Es lebe die Romantik!

D. Greti (Details anzeigen)


Fußnoten, Anmerkungen

Register

aBerlin-Lichterfelde
bTillich, Paul
cBendix, Ludwig
dWegener, Carl Richard
eJoël, Karl
gNietzsche, Friedrich
hNietzsche, Friedrich
iBendix, Ludwig
jBendix, Ludwig
kWegener, Carl Richard
lRudolf, Fräulein
mBerlin-Lichterfelde
nBendix, Ludwig
oWegener, Carl Richard
pTillich, Margarete

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974, bMS 649/193
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Lichterfelde - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Margarete Tillich an Paul Tillich vom 8. Januar 1920
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Margarete Wever an Paul Tillich vom 15. Januar 1930

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Margarete Tillich an Paul Tillich vom 2. September 1921, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00733.html, Zugriff am ????.

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