Geliebte Hannah!
Heut einen Brief durch M.arie L.uise Es wird leer hier. Die Hintersassen meiner Burghoheit vermindern sich. Dafür tauchen
dann und wann berühmte Leute auf: Außer dem immerwährenden Gerhart Hauptmann, Heinz Tovote, Fritz Stahl, Prof. Ebbinghaus und einige andere – tauchen auf und verschwinden wieder. Von der Herrlichkeit der
Natur hier könnte ich tägliche Lieder singen. Die Arbeit geht langsam; sie ist groß
und vielseitig; man muß von allen Dingen etwas wissen, um auch nur ein Formal-System
der Wissenschaften zu bauen. Aber es ist schön, sich geistig also auf eine Burg zu
stellen und auf die Häuser der Einzelwissenschaften herabzusehen. Vieles tritt an
mich heran; jetzt schon zwei Konferenzen; eben eine dritte auf Sylt von den Freideutschen im Oktober, an der ich nicht ungern teilnehmen würde. Sonst
lehne ich ab aus Selbsterhaltungstrieb. Ende Oktober soll ich einen Dante-Vortrag
in der |
Lessing-Hochschule halten; habe aber abgelehnt. – Gesternhab war ich stolz auf meine Psychologie, indem ich einer schöngebauten Dame, die erzählte,
daß ihr Mann demnächst käme, erklärte, daß dieses ihr zweiter Mann sei und sie geschieden;
es muß doch interessant sein, Menschen zu sehen und zu durchschauen wenn auch auf
die Dauer nichts dabei heraus kommt, höchstens eine feinere Lebenskunst. – Die Verhandlungen
mit Greti und Dox machen mir viel Sorge; es ist schwer, Entscheidungen zu eigenem Vorteil zu treffen
und doch darf ich nicht jede Last auf mich nehmen; denn über meiner Willkür steht
schließlich mein Werk. – Frau v. Sydow ist allein hier; ihre Schwester Grete kommt nach; vielleicht gelingt es mir auch, Eckart nachzuziehen. – Wie ich den Winter ertragen soll, weiß ich nicht; daher mein „grauenvoll“
neulich. (Assoziation ist zufällige bloß psychologische Gedankenverbindung im Unterschied
von innerlich geistiger Notwendigkeit) – – –