|
den 01.09.1921

Geliebte Hannah!

Heut einen Brief durch M.arie L.uise Es wird leer hier. Die Hintersassen meiner Burghoheit vermindern sich. Dafür tauchen dann und wann berühmte Leute auf: Außer dem immerwährenden Gerhart Hauptmann, Heinz Tovote, Fritz Stahl, Prof. Ebbinghaus und einige andere – tauchen auf und verschwinden wieder. Von der Herrlichkeit der Natur hier könnte ich tägliche Lieder singen. Die Arbeit geht langsam; sie ist groß und vielseitig; man muß von allen Dingen etwas wissen, um auch nur ein Formal-System der Wissenschaften zu bauen. Aber es ist schön, sich geistig also auf eine Burg zu stellen und auf die Häuser der Einzelwissenschaften herabzusehen. Vieles tritt an mich heran; jetzt schon zwei Konferenzen; eben eine dritte auf Sylt von den Freideutschen im Oktober, an der ich nicht ungern teilnehmen würde. Sonst lehne ich ab aus Selbsterhaltungstrieb. Ende Oktober soll ich einen Dante-Vortrag in der | Lessing-Hochschule halten; habe aber abgelehnt. – Gesternhab war ich stolz auf meine Psychologie, indem ich einer schöngebauten Dame, die erzählte, daß ihr Mann demnächst käme, erklärte, daß dieses ihr zweiter Mann sei und sie geschieden; es muß doch interessant sein, Menschen zu sehen und zu durchschauen wenn auch auf die Dauer nichts dabei heraus kommt, höchstens eine feinere Lebenskunst. – Die Verhandlungen mit Greti und Dox machen mir viel Sorge; es ist schwer, Entscheidungen zu eigenem Vorteil zu treffen und doch darf ich nicht jede Last auf mich nehmen; denn über meiner Willkür steht schließlich mein Werk. – Frau v. Sydow ist allein hier; ihre Schwester Grete kommt nach; vielleicht gelingt es mir auch, Eckart nachzuziehen. – Wie ich den Winter ertragen soll, weiß ich nicht; daher mein „grauenvoll“ neulich. (Assoziation ist zufällige bloß psychologische Gedankenverbindung im Unterschied von innerlich geistiger Notwendigkeit) – – –

Ich grüße vom grün-blauen Meer.
D.ein Paul.
    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    Orte: