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Lichtenrade , den 19.08.1913

Mein lieber Freund,

innige, herzliche Segenswünsche muß auch ich Ihnen sagen. Sie wissen ja, wie ich Ihnen alles Gute von ganzem Herzen wünsche, immer.— Ich möchte Ihnen heute nur Schönes schreiben, damit Sie recht fröhlich sind. Ich will einmal all das Traurige lassen, und nur als Freundin schreiben, die Ihnen gerne Freude machen möchte. Wenn ich wüßte, daß Sie ganz, vollkommen glücklich sind, ist das für mich ein großer Trost. Wissen Sie, die schönsten Stunden mit Ihnen zusammen waren für mich doch damals, als ich Sie fragte, ob Sie mein Freund sein wollten.— Wenn ich Sie nicht damals schon geliebt hätte, dann | hätte es vielleicht noch sehr famos werden können.— Aber nur das Gefühl der Liebe veranlaßte damals überhaupt, daß ich mich Ihnen näherte. Aber doch war es damals besser, weil Sie wenigstens noch harmlos waren.— Wen das eine nicht möglich ist, dann wollen wir aber wirklich wenigstens die Freundschaft halten. Ich will es doch beweisen, daß man das kann. Nein, daß man sich flieht und Angst hat, zusammenzukommen, das ist eine verkehrte Auffassung. Sie meinen, die Wunde wird frisch aufgerissen — besser, sie wird es, als daß eine stumpfsinnige, gleichgültige Entsagung, eine vernarbte Wunde da ist, wobei man nur bitter wird und einem das Leben über ist. — Nein, ich will leben — lieber mit Schmerzen, meinetwegen täglich neuen | als in Gleichgültigkeit gegen das Leben.— Wissen Sie, ich habe doch auch nicht nur getrauert all die Wochen, wo ich Sie nicht sah, sondern auch versucht wenigstens, mich mit andern Dingen zu beschäftigen. Ich habe sehr viel gelesen, manchmal kostete es mir direkt eine Anstrengung, meine Gedanken auf etwas anderes zu konzentrieren. Jedenfalls möchte ich Sie so bald wie möglich sehen, das können Sie ruhig wagen.— Ich fürchte, Sie haben sehr wenig Zutrauen zu mir!!— Furchtbar viel hatte ich von Clara von Schelling. Über einzelne Gedanken würde ich so gerne mit Ihnen sprechen. Das wollen wir tun, wenn Sie bald kommen. Ich kann mich doch keinem anderen so anvertrauen, wie Ihnen! Augenblicklich bin ich auch bei der Schillerschen Philosophie.— Mutti liest jetzt Abends das Jahrhundert-Festspiel von Gerhart Hauptmann vor, es erinnert in etwas, finde ich, an Faust, II. Teil. — Das Bild, | das Sie mir einmal klar machten, wie unser beider Verhältnis entweder ohne Zweck auf demselben Standpunkt bleiben müßte, oder aber nach oben gehen könnte, steht mir noch deutlich vor der Seele. Sie stehen ja weit über mir, aber ich will auch vorwärts und weiterkämpfen. Helfen Sie mir, soweit menschliche Hülfe möglich ist in diesen schwersten Kämpfen.— Ich wünschte, ich könnte Ihnen auch in irgend etwas helfen! Worin?— Sagen Sie mir das! Wissen Sie, wir lassen dann alles andere in Gottes Hand vorläufig, und wollen uns mehr über Dinge unterhalten.— Allerdings einmal habe ich vorher noch einiges Wichtige mit Ihnen zu besprechen.— — Deshalb kommen Sie nun bald. Aber, ganz auf Sie verzichten, will u. kann ich nicht. Ist es denn für Sie auch so schwer, mich zu sehen? Ich habe jetzt überhaupt eingesehen, daß das ganze Erlebnis auch für Sie sehr schwer sein muß. Jetzt bin ich auch körperlich mehr auf der Höhe, nachdem ich einmal gut ausgeschlafen habe. Doberan und dann gleich der Schulbetrieb war zu angreifend. — Und nun leben Sie wohl, lieber, lieber Freund. Ich denke, Sie können auch jetzt etwa meinetwegen einmal nach Lichtenrade kommen.— Hoffentlich geht es Ihnen im neuen Lebensjahr nun gut, auch körperlich

In Liebe Ihre treue
Maria Klein.

Denken Sie daran, wie schön es noch alles werden kann und freuen Sie sich wenigstens ein bißchen, daß Sie so geliebt werden. Ich sehne mich nach solcher Liebe!!! Das ganze Pfarrhaus u.und Lichtenrade gratuliert Ihnen, besonders auch Emma. Emma sagt auch, seit Sie nicht mehr kämen, sei nichts los. Das läßt Sie Ihnen bestellen! Denken Sie auch ein bisschen daran, wie nötig es für mich ist, daß ich Sie jetzt einmal sehe. Die Fragen, die ich an Sie habe, möchte ich so gern beantwortet sehen. Kommen Sie, das beständige Warten ohne bestimmte Aussicht greift meine Nerven sehr an. – Täglich hoffe ich ein bißchen, daß Sie doch mal kommen, den ganzen Nachmittag.

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