Der editierte Text

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a, den 12. Jan. 08.
Blumenthalstr. 23 II
Lieber b!

Mit Bedauern habe ich gestern durch c in doppelter Lesung von Deinem Kranksein gehört. Besonders rührten mich die Beschreibungen der von Dir im allerhand furchtbaren Zustände durchwachten Nächte, da ich Ähnliches vor Weihnachten auch zu Haufe erlebt habe.

Hoffentlich befindest Du Dich nun weiter auf dem Wege der Besserung, den Du nach Bulletins über die letzten Tage doch schon angetreten hast.

Ich habe hier gestern einen famosen "hallenser Tag" erlebt: Von 8-9| versäumte ich zunächst {totalis} – einmal, weil ich zu spät aufstand und vor allem weil die "Haferflocken", die ich jetzt jeden Morgen statt Kaffee zu mir nehme, zu heiß waren.

9 c.t.-10 Uhr 50 Min: Famulus-Dienst bei d: Begabtes Diktat über die Freiheit bei e.

11 c.t.-1/2 12: Besuch bei Frau Geheimrat Wilke.

1/2 12-12 Uhr 10 Min: Besuch bei f: keine Probleme, aber sehr nett unterhalten, persönlich näher gekommen.

12 c.t.-1 Uhr 5 Min: Schlemmerkolleg beim alten Herren: Beschreibung der Bedeutung des Jahres 1848, Emporkommen des Judentums, Kapital, Presse, Sozialismus, der 4. Stand. Sog. "Regularisierung der Wissenschaft". Bei die| sem Elend konnte "Theorie und Theologie" nichts helfen, praktische Arbeit tat not. Die evangelische Kirche besann sich auf ihre Pflichten: Wiehern. So ist es zu verstehen, daß die jetzt sich entwickelnde Theologie überwiegend eine positivistische wurde. Man wurde ordentlich mal fürs praktische Amt begeisterst, ich so recht zum ersten Mal. Am Schluß fing alles unwillkürlich mit Händen und Füßen zu trampeln an. Ich habe den alten Herrn noch nie so begeistert gesehen.

1 Uhr 20 Min. Minimal ein Weißbier mit g, {Kuhn}, h zusammen. Ich esse meines Magens wegen jetzt immer dort. Dann Lesen auf der Bude und Pennen.| 5-6 Predigt von i. 6-7 1/2 Lesen zu Hause. 7 1/2-9 c.t. Minimal bei einem Fuchs mit j zusammen. Begabtes Gespräch über k, l und "religiöses Erleben".

9 c.t.-10: Musik auf m Bude. Anwesend: n, o, p, q u. verschiedene Füchse. 10-1/2 1: Lektüre von r David Copperfield. Dann Pennen. Heute Morgen predigte s über Joh 5 41-44 "Ehre vor Gott u. Menschen". Heute Abend ist gemeinsamer Familienabend von Zwar, Aber, {Klosterdorf} im Waldhaus. Jetzt muß ich noch in t "u" im neuen Theater, drum schließe ich mit den herzlichsten Grüßen Dein getr.

v

Fußnoten, Anmerkungen

Register

aHalle (Saale)
bTillich, Paul
cBalke, Hans
dLütgert, Wilhelm
ePaulus
fMedicus, Fritz
gRitter, Rudi
h???, Claus
iBalke, Hans
jBalke, Hans
kKähler, Martin
lHerrmann, Wilhelm
mRöhricht, Eberhard
nBalke, Hans
oArend, ???
pTarke, ???
qVoget, Hans
rDickens, Charles
sLoofs, Friedrich
tIbsen, Henrik
uIbsen, Nora oder Ein Puppenheim: Schauspiel in drei Aufzügen, 1880
vSchreiber, Hans

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974., bMS 649/183(2)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Halle - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Hans Schreiber an Paul Tillich vom 21. Oktober 1907

Entitäten

Personen

Orte

Literatur

Bibelstellen

Zitiervorschlag

Brief von Hans Schreiber an Paul Tillich vom 12. Januar 1908, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00261.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

{{Internetquelle |url=https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00261.html |titel=Brief von Hans Schreiber an Paul Tillich vom 12. Januar 1908 |werk=Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition. |hrsg=Christian Danz, Friedrich Wilhelm Graf |sprache=de | datum=12.01.1908 |abruf=???? }}
L00261.pdf