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Bremervörde, 28.12.07.

Lieber Paul!

Schon lange quält mich mein Gewissen, daß ich Dir schon so lange nicht geschrieben habe, obwohl Du darauf wartetest. Der Quartalsschluß brachte soviel Unruhe mit sich, daß ich vergebens nach Zeit suchte zu schreiben. Und wenn ich auch Zeit gefunden hätte, so fehlte mir doch die rechte Stimmung.Hier Es gab so allerlei unerquickliches, das einem jede Lust an Mitteilungen verdarb. Jetzt bin ich ruhiger geworden, Du Glücklicher hast nun immer das Familienleben, das ich so sehr auf der Universität entbehre. Denn unser Leben ist doch im allgemeinen direkt vernunftwidrig, infolgedessen reformbedürftig, an| allen Ecken und Enden. Einen großen Schritt dazu haben wir in Halle ja getan, aber es muß noch mehr fallen, natürlich allmählig. Ich bin der Überzeugung, daß nach und nach Trinkzwang, Komment, Couleur, usw. fallen müssen, daß die Kneipen ein anderes Bild bieten werden. Auch darin ist man ja in Halle weiter als in Gött., wo jedes erste Gespräch verpönt ist. Vielleicht wird im nächsten Quartal eine Aussprache darüber stattfinden, ein unangenehmer Fall von Betrunkenheit, der als erlaubt entschuldigt wurde, wenigstens von einigen, und gegen den man nicht genügend vorging, haben Philister Saathapf in G. veranlaßt, für das nächste Quartal einen Unterhaltungsabend darüber zu halten. Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du| mir Deinen Unterhaltungsabend schicktest, falls Du das Konzept noch hast. Weihnachten haben wir hinter uns, wieviel liegt in diesem Wort. Aber ist alle diese Freude wahr? Ist sie wirklichnur der Abglanz einer anderen Freude? Meist wohl nicht, oft habe ich bei mir gemerkt, daß sie etwas erzwungenes an sich hat. Wieviel Klimm-Bimm wird da gemacht ohne Grund! Etwas weniger Schall und Radau wäre besser. Aber ich will das Gute nicht verkennen. Hier zu Huas war es natürlich fein, alle 8 Geschwister waren da, seit langer Zeit wieder. Da gab es soviel zu erzählen und zu bereden. In den letzten Tagen haben wir trotz des kalten Wetters weitere Spaziergänge gemacht, dabei waren die Kleineren natürlich nicht mit. Und| besonders fein wird Sylvester werden, es wird an dem Abend von jedem das, was er Bedeutsames erlebt hat, in eine Chronik geschrieben und die von vorigem Jahr verlesen. Das Bleigießen schätze ich nicht so sehr, wir haben es auch nicht, aber bei anderen ist es ja Sitte.

Deine Gedanken über Tröltsch und Seeberg haben mich interessiert, auch an mich ist diese Fragestellung herangetreten, allerdings weiß ich nicht, ob man gerade diese beiden als einzig möglichen Gegensatz bestehen lassen soll. Aber ich kenne sie auch noch zu wenig, für eine Belehrung wäre ich sehr dankbar. Überhaupt habe ich noch keine Theologie, es wird allmählig Zeit dazu. Nur das weiß ich, daß ich nicht orthodox lutherisch bin, sondern eine Vereinigung| nur wünschen kann, jedoch mehr durch Überzeugung, als äußerlich. Denn jede Maßregel würde eine neue Absonderung zur Folge haben.

Ich bin jetzt bei meiner Predigt über 1Thess. 5, 9 u 10. Solltest Du mir Rat geben können, so muß es bald geschehen, in den Ferien soll sie fertig werden. Das Thema wird etwa sein: "Unser Ziel ist unsre Seligkeit". Darauf leitet der Text durch den Gegensatz: Gott uns gesetzt nicht zum Zorn, sondern... der erste Teil wäre dann: "Worin besteht die Seligkeit?" In der Gemeinschaft mit Christus, wie es die Worte des Textes sagen: Auf daß, wir wachen oder schlafen, wir zugleich mit ihm leben sollen. Da wäre dann beides zu verwerten, das irdische Leben u die Hoffnung auf die zukünftige Gemeinschaft mit Gott. Der 2. Teil ist mir nicht so klar, er wird etwa enthalten| Wie erlangen wir diese Seligkeit? Aber da stocke ich, ich weiß nicht so recht, was ich da sagen soll. Der Text sagt: durch unseren Herrn Jesus Christus, der für uns gestorben ist. Bedeutet nun der Relativsatz das Mittel? Sprachlich nicht, wenigstens nach meinem Empfinden, aber doch wohl inhaltlich. Aber soll ich das auf die Versöhnung beziehen? Ich weiß noch nicht. Die Worte durch uns. Herrn J. Chr. enthalten ja auch schon viel. "Herr" erinnert an das Verhältnis von Herr und Diener, wo es dem Diener die höchste Befriedigung ist, den Willen des Herrn zu tun, der als der richtige erkannt worden ist, ihm ähnlich zu werden, ihn sich als Vorbild dienen zu lassen. Und das ist bei Jesus im höchsten Maße der Fall. Wir sollen ja seine Brüder werden. Aber nun sein Tod, dessen Verwertung bietet mir| Schwierigkeiten. Als Vollendung des Gehorsams kann man ihn bezeichnen. Aber das für uns erfordert eine Erklärung. Und die ist mir noch nicht klar. Der Schluß wird etwa sein "Solches Leben in Christus ist erst rechtes Leben" oder ich nehme paränetischer "haben wir auch recht überlegt, wohin wir streben, leben nicht viele in den Tag hinein, ohne Überlegung? – Was meinst Du dazu? Ich glaube, daß ich den Text ziemlich erschöpft habe.

Nebenbei fange ich meine Arbeit über Kant "Streit der Fakultäten" an. Doch mußt Du nicht glauben, daß ich viel tue, 3 Stunden täglich. Nun gibt es auch noch Eis, da werde ich mich freuen, wenn ich die Predigt fertig bekomme.

Empfange zugleich die besten Neujahrswünsche an Dich u die ganze Familie.| Wenn der Termin des Februarkommers festgelegt ist, mußt Du ihn mir sofort mitteilen, da ich am 7. Februar meine Arbeit über Kant, am 8. Febr. den Predigtentwurf abzugeben und 14 Tage darauf, am 22. Febr. die Predigt zu halten habe. Es drängt sich also sehr, aber ich werde es möglich machen!

Auf Wiedersehen!
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    • Kant, Immanuel. Der Streit der Fakultäten. Deutschland: Nicolovius, 1798.