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den 01.01.1921

Geliebte Hannah!

Täglich bist Du mein Glück, denn täglich gibst Du mir die Ruhe der Erfülltheit, und die Seligkeit der unbedingten Liebe und die Freudigkeit der unendlichen Hoffnung. Täglich bist Du mir nah und Deine Hand segnet mich in allem wilden Toben der Berliner Tage. Es ist so viel Glück in meiner Ruhe, daß ich gestern jemand sagte: Seit Weihnachten bin ich glücklich, wie ich es seit 10 Jahren nicht mehr gewesen bin; Du glaubst nicht an mich und meine Kraft zu Dir; ich bin stark genug, auch diesen Deinen Unglauben zu tragen. – Als Augustin alle Richtungen der antiken Philosophie und Religion durchgemacht hatte, fand er das Christentum; er verlor darüber das andere nicht; er nahm es in sein Christentum auf und gab ihm den Geist und die Fülle, die es bei ihm erst gewinnt. Mit Recht konnte jemand erwarten, daß er auch dieses wieder aufgeben würde; aber es war ein Unterschied: dieses war groß genug, daß es alles in sich aufnehmen konnte; erhöht, gereinigt, durchleuchtet. – Du bist groß genug, alle Seiten | meines Wesens in Dich aufzunehmen. Ich habe gesucht und gesucht und habe nicht aufgehört zu suchen, als ich Dir schon nahe war; jetzt suche ich nicht mehr, oder nur das, was ich hineintragen kann in Deine Fülle; denn auch Du bist gewachsen und wirst wachsen durch alles was ich in Dich hineintragen werde, wie das Christentum wuchs, als Augustin seinen gewaltigen Geist hineintrug. Ich liebe Dich, Geliebte, und diese Liebe ist die Kraft und Realität meines Lebens. Es gibt keinen Weg mehr, der nicht zu Dir führt, Hannah! – –

Ich komme schon Freitag zu Dir. Donnerstag habe ich noch Vortrag. Aber dann will ich keinen Tag verlieren, nachdem ich mich nun einmal für Bremen entschlossen habe. – Falls die Elektrischen noch nicht gehen, wäre ich dankbar, wenn Frede oder das Mädchen zu dem üblichen Zug Mittags am Bahnhof wäre. Alles was sonst geschehen ist und geschieht, erzähle ich Dir!

In großer Freude –
Dein Paul.
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