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den 01.11.1921

Geliebte Hannah!

Arbeit, Spiel, Warten! Aber das Warten ist das Stärkste in mir. Es durchzittert das Spiel mit Mißbehagen und die Arbeit mit großem Feuer; es ist der Nebel der ersten Morgenstunde, wo unter Wehen der Wille zum Tag in mir geboren wird, und er ist die Sonnes des Vormittags, deren Symbol die Strahlen der gelbroten Wintersonne sind, die in mein Zimmer fallen … es ist nicht das Warten der Ungeduld, sondern das Warten der Seele auf den Schicksalsblick, auf das Reich, auf das Vollkommene, in dem das Stückwerk versinkt, mag es der unendliche Schmerz des Kreuzes, mag es die unendliche Seligkeit der Auferstehung sein. – Gestern stand ich vor meiner altgriechischen Göttin, und plötzlich packte mich eine brennende Sehnsucht nach Anbetung; warum haben wir nichts Konkretes, Überwältigendes, das wir anbeten können. Warum war uns das Gebet zur Strafe geworden, die wir von uns weisen, um nun leer zu sein und kalt und einsam! Wo ist der Gott, den wir anbeten können, als höchsten Augenblick des Tages, als Sammlung und Kraft, als Tauchen | in den Abgrund, als Fliegen in die Höhe, als wahrhaftes Menschsein, als wahrhaftes Gemeinschaftsein? – – – Du trägst in Dir die Leiden der Mutterschaft; sorge Dich nicht darum, gehe aber zum Arzt, damit nichts verquer wird. – Es wäre weitaus das Beste, wenn Du auf 10–14 Tage nach Bremen gingst vor der definitiven Entscheidung, hier zwei Tage bliebst, damit wir uns sehen können. Dann wäre alles so günstig wie möglich für mein Gefühl. Wenn Du das willst, so schreibe sofort direkt an Frl. Gertrud Horn bzw. Pfarrer Fritz, Bremen, Georg-Gröningstr. 40. Versuche alles, um es zu erreichen. Es kann doch nicht unmöglich sein, etwa ein Besuch bei Gain hier oder drgl.dergleichen kann die Sache doch z.um T.eil begründen. Mir wäre es sogar sehr lieb, wenn Du bei der hiesigen Frauenärztin wärst. – Ich schreibe noch einmal meine Telephon-Nummer: Rheingau 8347.

Mein Satz, den Du nicht verstanden hast, sagt, daß es in den letzten Dingen mir ein Absolut und Relativ, nicht aber ein Mehr oder weniger gibt; und daß man das Relative nur zerbrechen darf, weil es relativ ist, weil ihm der Absolutheitszweck fehlt.

Paul.
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