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den 01.04.1921

Geliebte, vielgeliebte Hannah!

Hab Dank für die beiden Briefe, die mir eine große, sehr große Freude waren, nicht nur um deßwillen, was Du mir Liebes in ihnen sagst, nicht nur um der Schönheit ihrer Gedanken und Worte willen – – Deine Träume sind Dichtungen – sondern weil ich in Ihnen das Wachsen Deiner alten Kraft fühle. Der Frühling ist wieder in Dir und läßt Dich goldene Worte finden, und wenn es auch eine Zeit Deines Leidens ist, so doch eines fruchtbaren Leidens: Es sind Geburtswehen. – In mir ist es noch wie Feststimmung nach dem vollendeten Kolleg und mit dem Entschluß, in diesen 14 Tagen Feste zu feiern. Zwei davon sind schon vorbei; und es ist merkwürdig: Während im Semester 2 Stunden Schlaf zu wenig mir einen Arbeitstag kosteten, haben jetzt 2 durchfeierte Nächte meinen Aufsatz zur Vollendung gebracht, der vorher nicht gedeihen wollte. Und anstatt müde zu sein, fühle ich alte Lebensglut mich durchströmen. Der große Geist-Rausch des Januar hatte meine Kraft erschöpft; und nun muß wohl ein Schönheitsrausch die Kräfte wieder aufwecken; ich bin glücklich darüber, daß ich es noch kann; daß noch Jugend und Flügel in mir sind. Und nun sollst Du auch einige Berichte haben: Ich schwieg in der vorigen Woche, weil ich erst einmal leben wollte; aber ich schrieb alles in Gedanken fein säuberlich für Dich auf: Zuerst der Ball der Jury-Freien im Zoo am Mittwoch, wo ich mit Nora Mengelberg war. Ich war viel mit ihr zusammen; wir tranken eine Flasche Wein und sprachen einiges über Epikur und Plotin, die ich um ihretwillen, um sie anzugreifen, konfrontiert hatte im Kolleg; sie hatte das gefühlt und verteidigte sich nun. Ich war auch noch mit einer anderen klugen, vielleicht etwas zu klugen Frau zusammen, die gerne meine Frau kennen lernen will. Dann ging ich – um 1/2 2 war Schluß, mit Nora zu ihr rauf, und blieb bis 1/2 4 auf ihrem Chaiselongue mit einem | roten Tuch, ähnlich Deinem damals, bedeckt, und ließ mir von ihr Tee bringen, und ließ sie sich zu mir setzen, und sprach mit ihr noch eindringlicher erst von Dir, dann von mir, und sagte ihr wohl vieles von meinem Inneren! Sie erzählte von einem Brief von Dir, der sie glücklich gemacht hätte; und wir kamen uns näher aus Dir heraus; mein Kopf lag auf Ihrem Schoß, und sie beugte sich über mich, mütterlich, liebevoll und ein klein wenig neugierig. Ich aber wollte mich verschwenden und zeigte ihr meine Seele, ohne das Gefühl zu haben, ärmer zu werden; ich habe es auch heut nicht. – Nach zwei Tagen kam sie am Vormittag unerwartet zu mir; erst waren wir verlegen, dann nannten wir uns, wie auf dem Fest, Du; dann war sie sehr lieb und wollte mir finanziell durch Vorträge bei ihr helfen; dann begriff sie nicht, warum ich nicht angeklingelt hätte, und ich sagte ihr, daß meine aktive Kraft nur meinem Werk gehörte, und der Frau nur, sobald ich mit ihr zusammen wäre, daß ich aber nichts täte, um das zu bewirken. Ich weiß nicht, ob sie es ganz verstanden hat; ich sagte aber auch, daß ich sie ganz als Kameradin und gleichwertig auffaßte und darum Konventionelles nicht nötig wäre. – Der Kunstgewerbeball war ein gewaltiger Massenrausch; alles einzelne und jeder einzelne verschwand daneben. Mir aber versank alles in Nichts, sobald ich Dein Bild sah, und die Weihe empfand, die durch unser Kennenlernen diese Räume bekommen haben. Ich lernte eine junge Ärztin kennen; sie ist mir noch sehr dunkel; vielleicht sehe ich sie wieder. – Marie-Luise hat viel getanzt. Am Schluß saß ich bei ihr und sagte mir, sie wäre mir das Vertrauteste auf dem Fest. Und das ist wahr; denn auch in ihr bist Du. – – – Eben ist Eckhart v. Sydow gekommen. Ich habe ihm Deine Kritik z.um T.eil vorgelesen; er begreift sie ganz und möchte gern Ausführliches darüber hören. Schreib ihm doch; auch wegen Deiner andern Sache soll er tun, was er kann, und läßt Dich sehr herzlich grüßen. Seine Adresse ist: Leipzig, Querstr. 31

Dein Paul.
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