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den 01.01.1920

Geliebte, süße Hannah!

Einen schnellen kurzen Gruß eine halbe Stunde vor dem Kolleg! Ich war so furchtbar doll froh über Deinen Luftpostbrief, über die Idee und über die Ausführung. Ich dachte einmal daran, Dir ein Telegramm zu schicken, aber ich ließ es, da es meistens mehr Schreck als Freude macht; auf die Idee, ein „Vogel fliegen zu lassen“ bin ich Berliner Weltstädter natürlich nicht gekommen. Ich kann Dir nur sagen, daß ich dieses schreibe, weil eine solche Woge wärmster Liebe Dich umfassen will, daß ich es Dir sagen muß. Eigentlich habe ich fast gar nichts zu sagen; denn alles andere ist unwichtig daneben. – Dienstag war ich bei Hugo Simon; er ist wirklich ein ganz erstklassiger Mensch; wir sprachen viel über Religion und Sozialismus. Dann sagte er mir, daß er mir gerne helfen wollte. Er bot mir dann auf unbestimmte Zeit monatlich 1500 M | an; ich war wie erschlagen und bin jetzt noch sehr glücklich. Ich merke, wie die Lehr-Kurse mich langsam zerbrechen. Nun noch bis Anfang März; dann ist das meiste, und bis Mitte März, dann ist alles zu Ende; und dann kann ich arbeiten, kann wirklich nichts als Bücher schreiben, dicke und dünne. Ist das nicht ungeheuer beglückend? Ich würde jetzt keinen Wert auf Marburg legen, sondern viel lieberzu hier bleiben und mit Dir zusammen sein. Ich bin jetzt bereit, innerlich und äußerlich; ich bin ganz auf Dich gerichtet. – Hannah, ich messe den Wert und die Größe meines Lebens nach der Intensität Deiner Liebe zu mir. Du bist meine Größe und mein Wert! Denn Du bist die Stätte, an der für mich wieder und wieder die Gnade durchbricht. Du bist für mich tägliche Offenbarung. Du bist nie neben einer Sache, sondern immer in allen; Du bist einfach da; und das ist alles.

In tiefster, sehnsüchtiger Liebe!
Dein Paul.
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