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den 01.08.1921

Geliebte Hannah!

Hab Dank, vielen Dank für den Reichtum, den Du mir in Deinen Briefen geschickt hast! Nicht alles verstehe ich, wie ich nie alles verstanden habe, weil viel Dichtung, also Zuspitzung in allem ist, was Du schreibst. Aber es ist mir als ob der Strom wieder flösse, den ich so lange entbehrt habe; der von Dir kam und bewußt und unbewußt in mich überging. Ich freue mich, daß Dein Geist wieder erwacht ist, daß Du wieder Bilder schaffst und Gedichte fühlst. Aber Hannah, vergiß nicht, es ist nicht leicht, im Tempel des Geistes zu wohnen; nicht den großen Träumen und Ekstasen öffnet er sich, sondern nur der stillen rechten Arbeit, dem einfachen schweren Ringen. Ich glaube, die Flügel Deiner Poesie sind Dir jetzt ein Hindernis für den Weg zum Geist; sie wollen Dich darüber hinweg tragen, statt hinein. Ich glaube – verzeih, daß ich streng mit Dir bin – daß M. L. augenblicklich dem | Geist näher steht als Du. In ihrer stillen feinen Seele hat sie Kraft zu erstaunlichen Intuitionen angesammelt. (Im übrigen bekam ich von ihr vor einigen Tagen einen sehr schönen, sehr erlösten Brief, in dem sie eigentlich das sagt, was ich in allem immer gewünscht hatte.) Hannah, Du bist unendlich viel größer als sie; werde einmal kleiner als sie, verzichte einmal auf Dein Schwert, das Wort, sprich Einfachstes in einfachsten Worten, damit Dein Wort von innen her neue Erfüllungen bekomme. Einfachheit, Ruhe, innerst gesammelte Kraft, das mußt Du haben, ehe Du überhaupt zu einer Entscheidung herangereift bist. Ich weiß nicht, was mir diese Worte eingibt, die Ruhe des Meeres, das tägliche Baden, das allen Flitter unsrer Seele abschneidet, die Sehnsucht, nur voll zu wertende Worte von Dir zu hören? – Mein Verhältnis zu Lotte Storch – übermorgen | fährt sie ab – ist geblieben wie am Anfang, vertraulich, fast wortlos, gänzlich unerotisch. Sie leidet unter Deinem Brief, den sie als völliges Mißverstehen deutet. Ob mit Recht, kann ich nicht beurteilen. – Mit Ilsemargot habe ich nun gänzlich gebrochen; es ist einfach unmöglich mit ihr; es gibt auch Grenzen der Verantwortlichkeit. Ich kann nun nicht mehr. – Um Dox kämpfe ich einen schweren inneren Kampf; ich muß viel Bitterkeit überwinden, um ihm nicht Feind zu werden; auch der Kampf um den Jungen ist schwer; ich zweifle noch immer, ob ich nicht die Ehelichkeit anfechten soll, wodurch ich alle Verpflichtungen los werde aber das Kind sein Lebtag den gesellschaftlichen Makel der Unehelichkeit hat. – Die Entscheidung wird am 22. Nov. d. J.November dieses Jahres stattfinden; ich will sie auf jeden Fall durchsetzen, um das Verhältnis zu Greti in voller Freiheit zu regeln. Sie will zu mir |

um für das Kind eine Heimat und für sich eine Lebensaufgabe zu haben; aber beides kann für mich nicht entscheidend sein; auch nicht der unausrottbare Instinkt der ersten Liebe, der in mir ihr gegenüber ist. – Sonntag ziehe ich nach Kloster um (auf Hiddensee/Rügen) (bei Schmiedemeister Mann). Ich bin allabendlich totmüde; die starke Luft zehrt vorläufig mehr, als sie stärkt; und schon muß ich arbeiten, immerzu Schwerstes produzieren; noch kann ich es, und kann es besser als die meisten; und das hilft in aller Trübsal. Erst wenn mein Geist nicht mehr Blut ist, wie bei so vielen, bin ich nichts mehr wert und verdiene, auf den Dung geworfen zu werden. Hilf auch Du mir, daß es nicht dazu kommt! Ich greife Deine Hand!
Paul.
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