|
Berlin-Friedenau, Taunusstr. 1, den 31.12.1923

Hochverehrter Herr Professor!

Einige Tage vor Weihnachten erhielt ich von Herrn Ministerialrat Richter die Mittteilung, dass nach erfolgter Umhabilitation die Unterrichtsverwaltung versuchen wird, zu den Übersiedlugskosten eine Beihilfe bis zu 300 Mark zu gewähren. Diese Mitteilung bedeutet, dass ich die Umzugskosten in Höhe von 1100 Mark erst einmal selbst aufbringen müsst, dass ich auch nach vollzogener Umhabilitierung nicht einmal die Sicherheit hätte, überhaupt etwas zu erhalten. Da nun aber auch nach Ihrer Andeutung Herr Professor Rade im besten Falle nur einen „kleinen Bruchteil“ der erforderlichen Summe aufbringen könnte, so scheint mir die Frage des Umzugs vorläufig negativ entschieden zu sein.

Nach vielfacher Überlegung möchte ich mir nun erlauben, Ihnen folgenden Vorschlag zu machen: Ich behalte meine Berliner Wohnung und meinen Lehrauftrag in der Berliner Theologischen Fakultät ; die Marburger Fakultät stellt aber beim Kultusministerium den Antrag, mich zur Unterstützung des erkrankten Professors Otto auf bestimmte oder unbestimmte Zeit zu beurlauben. Zugleich versuche ich, in Marburg eine kleine möblierte Wohnung zu finden. Die beiden anderen Punkte (Professorentitel und 90 % der Gehaltsklasse 10) bleiben unberührt durch den neuen Vorschlag.

Dieser Weg, der mich zwänge, meine Wohnung und den größten Teil meiner Sachen auf unbestimmte Zeit zu verlassen, wäre ja für mich mit großen Unannehmlichkeiten verknüpft. Ich möchte aber die Sache daran nicht scheitern lassen. Nur könnte ich auf keinen Fall meinen Berliner Lehrauftrag aufgeben, solange ich die Wohnung in Berlin behalte. Es könnte sonst der Zustand eintreten, dass für die Dauer Lebensbasis (Wohnung) und Existenzbasis (Lehrauftrag) getrennt bleiben. Meiner Überzeugung nach kann mein Vorschlag keine wesentlichen Schwierigkeiten formeller Art machen, denn es finden sich zahlreiche Beispiele ähnlicher Beurlaubungen resp.respektive Vertretungen. Sollte die Marburger Fakultät sich mit meinem Vorschlag einverstanden erklären, so bitte ich um Mitteilung, ob die Fakultät von sich aus den Beurlaubungsantrag stellen will, oder ob ich es unter Berufung auf die Fakultät tun soll.

Falls die Beurlaubung im Sinne meines Vorschlags erfolgen sollte, würde ich bereit sein, selbst wenn die Wohnungsfrage in Marburg vorläufig noch sehr unzulänglich gelöst werden könnte, auf alle Fälle im Sommersemester mit den Vorlesungen zu beginnen. Da die Übersiedlung auch in der neuen Form, sowie die Einarbeitung in die neuen Verhältnisse viel Zeit in Anspruch nehmen werden, so wäre es mir liebe, mit Gegenständen anzufangen, die ich schon gelesen habe. In Betracht käme für den Sommer vor allem eine vierstündig zu lesende Übung über die neueste Religionsphilosophie (seit 1900) sowie der dritte Teil meiner Vorlesung über der religiösen Gehalt der europäischen Geistesgeschichte („der religiöse Gehalt und die religionsgeschichtliche Bedeutung der abendländischen Philosophie seit der Renaissance“). Meine Religionsphilosophie könnte ich dann im Winter lesen. Der Stoff ist für eine Sommervorlesung zu groß. Sollten jedoch von Seitender Fakultät Wünsche bestehen, dass ich noch ein anderes Gebiet behandele, so würde ich versuchen, evtl.eventuell auch eine kürzere neue Vorlesung auszuarbeiten.

Für eine baldige Antwort wäre ich sehr dankbar.

Mit ergebensten Gruß
Ihr P. Tillich
    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    Orte: