Liebe Hannah!
Dein ganzer langer Brief von heut war überflüssig; denn er war ein Mißverständnis.
Ich
habe weder die Absicht gehabt, Dich zu überrumpeln, dannich hätte ich anders am Telephon gesprochen;
noch hatte ich an „Liebesnacht“ gedacht; dann hätte ich Dich überhaupt nicht angerufen;
denn ich mache
nicht mal geringere Frauen bloß zum Mittel. Sondern ich wollte mich seelisch stärken
an Dir, da ich
jetzt immer sehr müde und freudig bin; und ich wollte Dir zeigen, daß ich Dich liebe;
nachdem ich Dir
abgeschrieben hatte, und es nicht ertragen konnte, so nah bei Dir zu sein, ohne wenigstens
Deine Stimme
zu hören. Ich habe lange geschwankt; und habe schließlich deswegen und nur deswegen
angerufen; das Resultat
war mir ziemlich gleichgültig und ich war keinen Augenblick enttäuscht, empfand es
so gar fast als eine
Erleichterung. – In Deinem Brief weht etwas der Geist Trudchens. Ich möchte aber
bemerken, daß ich es war, der Bremen abgesagt |
hat. Sogleich bin ich natürlich vollkommen
mit Dir einverstanden; aber ich habe das Gefühl, daß in der Ferne meine Gedanken in
Trudchens Worten
mir entgegentreten. – Bitte erwähne die Sepsa-Angelegenheit nicht mehr! Sie wird mit jedem Male größer
und – unwirklicher. Es war ein zu fernes Schwingen eines Gefühlsmomentes, um mehr
als ein einmaliges
flüchtiges Berührtwerden durch das Wort ertragen zu können. Das darfst Du in dichterischer
Form tun,
nicht in realer. – Ich freue mich, daß Du im März noch in Bremen bleiben kannst; ich hatte nie die Absicht,
den März dort zu sein; und auch nicht im April – wenn Du dann noch da sein kannst.
– Gespräche mit
M. L. beziehen sich nur auf technische Fragen, in denen sie uns eine unentbehrliche
Hülfe ist, vor allem
Deinen Eltern gegenüber. Ich bitte Dich deswegen: Schreibe ihr öfters; zeige ihr, daß sie auch
Dein
Vertrauen hat! – Sonst rede ich überhaupt nicht über unsere Sache, wie ich auch überhaupt
wenige Menschen
sah und sehe. Ich bin trotz allem Gegenschein einsam mit Dir; darum quäle mich nicht
mit |
diesen Dingen, die ich selbst am besten weiß! Die Über-Arbeit verzehrt langsam meine
Kraft;
unser Leben mußt Du mehr tragen als ich. – – Dein Brief,war den G. Schafft mir brachte, war mir
eine unerschöpfliche Freude. Ich bin mit ihm eingeschlafen und aufgewacht. Ich danke
Dir dafür, denn
das ist es, wovon ich noch lebe! Ach Hannah, was weißt Du von meinem Leben? Was weißt
Du von den zerschnittenen
Wurzeln durch den Krieg, durch Gott, durch den Geist! Was weißt Du von meinem Leid,
gegen das alles
positive Unglück ein Spiel und alles positive Glück ein Träumchen ist? Kann eine Frau
das wissen? Ich
weiß es nicht; aber als Du Deinen zweiten Brief schriebst, da wußtest Du es nicht.
– Einer hat es ganz
verstanden, Hermann Schafft, der alles wie ich durchgemacht hat, der noch mehr wie ich, in der Kriegshölle
war, und der mir sagte, daß auch er ständig fühlte, daß wir Geretteten das Leben nur
noch als Wunder,
zum Leiden, und nicht für uns hätten; das ist Hochmut; aber großer Schmerz macht hochmütig,
weil er
alles entwertet. – Ich habe mich mit |
ihm verstanden, wie noch nie mit jemand; es
war für uns beide wie ein Wunder und ein Geschenk. Ich hielt den Vortrag nur für ihn
und er hatte das
volle Ja dazu; er ist ganz befreit; auch in erotischen Dingen ist er viel freier,
als Frede denkt, und
doch selbst Asket. Auch er hat alle Teufel in sich, und kann darum einem Engel gleichsein
– wie Du;
wir haben gar nicht über Dich gesprochen. Nur als ich nach Trudchen fragte, sagte er, sie hätte eine
sehr nette Freundin da. Es war ein Abend von solcher Intensität, daß ich noch völlig
erschöpft bin.
Er will aus der Kirche gehen; und ich habe das Gefühl, daß das etwas Großes sein könnte;
daß wenn Führer
wie er, die Jugendbewegung in die Hand bekommen, etwas daraus werden kann für die
Religionsgeschichte.
Wie klein ist demgegenüber die Frage nach einer theologischen Professur u degl. –
Hannah schreibe so
oft Du kannst; um diese kleine Hilfe darf ich Dich bitten? Ja?