Der editierte Text

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Armes liebes a!

Dein Brief1 war mir ein tiefer Schmerz, nicht wegen des Nicht-Kommens, sondern wegen der tiefen Traurigkeit und Müdigkeit, die darin liegt. Schon Dein Toten-Gedicht hat mich darin so erschüttert und nun Dein Brief! – Daß wir uns sehen, ist selbstverständlich; und wäre es auch mir, um Dir ein Fünkchen Lebensfreude und Lebenswille einzuflößen, wenn anders Du ihn von mir noch nehmen kannst. Du bist jetzt da, wo ich im Krieg war, im Lande des Todes, fern von allen Lebenden, einem großen übergreifenden Schicksal anheimgegeben, das in Deinem Leibe wirkt und schafft. Du wirst mir darum innerlich fern sein, auch wenn ich bei Dir bin. Aber ich möchte doch gerade auch in diesen Stunden bei Dir sein, damit Du merkst, daß ich unbedingt bei Dir bin, nicht nur durch Menschen und Dinge, sondern auch durch Dich selbst und Deiner Seele Flucht. – – –

Ich werde also Sonnabend oder Sonntag mit dem üblichen Zug kommen (d. 25. oder 26.ten) und wir werden Dienstag oder Mittwoch nach b abfahren.| Aber ich muß Dich um zweierlei bitten: Erstens, daß c mir persönlich in ein paar Worten schreibt, daß es ihm Recht ist, und er es in seinem Interesse für unbedenklich hält; und zweitens, daß wir beliebige Zeit allein und ungestört zusammen sein können. Anderenfalls würde ich trotz aller Schwierigkeiten und Kosten ein Treffen in d und einen Aufenthalt dort vorziehen. – Ich habe habe [sic!] aber noch einen anderen Gedanken: Wenn Du jetzt im 7ten Monat bist, so ist es eigentlich unmöglich, daß Du überhaupt fährst. Du riskierst eine Frühgeburt; besonders wenn Du es innerlich fühlst, daß Du nicht kannst. Ist es nicht möglich, daß Du bis zum 8ten Monat, also Ende April wartest?2 Dann sind auch die Osterferien zu Ende und vielleicht fühlst Du Dich wesentlich besser. Ich stehe bis zum 2 Mai völlig zur Verfügung. Überlege es Dir doch sehr! Deiner f gegenüber kannst Du es ja mit Deinem Zustand und dem |:einem:| Arzt begründen. – In jedem Fall bitte ich um sofortige Antwort; und dann auf Wiedersehen in 10 oder 30 Tagen.

In Liebe und Sorge.
g.

Fußnoten, Anmerkungen

1Liegt nicht vor.
2Aus der Angabe, dass e Ende April im 8. Monat schwanger ist, ergibt sich, dass der Brief wahrscheinlich Mitte oder Ende März verfasst wurde.

Register

aTillich, Hannah
bKassel
cFritz, Alfred
dHannover
eTillich, Hannah
fWerner, Louise
gTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard, Harvard Divinity School Library, Tillich, Hannah. Papers, 1896-1976, bMS 721/2(18)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
unbekannt - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 21. Januar 1922
nächster Brief in der Korrespondenz
Brieffragment von Paul Tillich an Hannah Tillich von September 1920

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich von März 1922, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L01295.html, Zugriff am ????.

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