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den 01.01.1922

Armes liebes Hannahchen!

Dein Brief war mir ein tiefer Schmerz, nicht wegen des Nicht-Kommens, sondern wegen der tiefen Traurigkeit und Müdigkeit, die darin liegt. Schon Dein Toten-Gedicht hat mich darin so erschüttert und nun Dein Brief! – Daß wir uns sehen, ist selbstverständlich; und wäre es auch mir, um Dir ein Fünkchen Lebensfreude und Lebenswille einzuflößen, wenn anders Du ihn von mir noch nehmen kannst. Du bist jetzt da, wo ich im Krieg war, im Lande des Todes, fern von allen Lebenden, einem großen übergreifenden Schicksal anheimgegeben, das in Deinem Leibe wirkt und schafft. Du wirst mir darum innerlich fern sein, auch wenn ich bei Dir bin. Aber ich möchte doch gerade auch in diesen Stunden bei Dir sein, damit Du merkst, daß ich unbedingt bei Dir bin, nicht nur durch Menschen und Dinge, sondern auch durch Dich selbst und Deiner Seele Flucht. – – – Ich werde also Sonnabend oder Sonntag mit dem üblichen Zug kommen (d. 25. oder 26.ten) und wir werden Dienstag oder Mittwoch nach Kassel abfahren. | Aber ich muß Dich um zweierlei bitten: Erstens, daß Frede mir persönlich in ein paar Worten schreibt, daß es ihm Recht ist, und er es in seinem Interesse für unbedenklich hält; und zweitens, daß wir beliebige Zeit allein und ungestört zusammen sein können. Anderenfalls würde ich trotz aller Schwierigkeiten und Kosten ein Treffen in Hannover und einen Aufenthalt dort vorziehen. – Ich habe habe aber noch einen anderen Gedanken: Wenn Du jetzt im 7ten Monat bist, so ist es eigentlich unmöglich, daß Du überhaupt fährst. Du riskierst eine Frühgeburt; besonders wenn Du es innerlich fühlst, daß Du nicht kannst. Ist es nicht möglich, daß Du bis zum 8ten Monat, also Ende April wartest? Dann sind auch die Osterferien zu Ende und vielleicht fühlst Du Dich wesentlich besser. Ich stehe bis zum 2 Mai völlig zur Verfügung. Überlege es Dir doch sehr! Deiner Mutter gegenüber kannst Du es ja mit Deinem Zustand unddem einem Arzt begründen. – In jedem Fall bitte ich um sofortige Antwort; und dann auf Wiedersehen in 10 oder 30 Tagen.

In Liebe und Sorge.
Paul.
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