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den 01.01.1922

Meine Hannah!

Nun umarme ich Dich mit der ganzen Seligkeit des wiedergewonnenen, verloren gefürchteten einzigen und vollkommenen Besitzens! Ich habe Dich mehr als zuvor, ich habe Dich in mich aufgenommen als die heilige Wächterin meiner Reinheit, meiner Seele. Hannah, ich vertraue Dir, daß es Liebe, nichts als Liebe war, was in Dir lebte; ich habe nie einen Augenblick an unterbewußte, ungöttliche Motive gedacht; Du hast Recht, daß ich mich dem nie gebeugt hätte. Und nun, wo es ruhig in mir geworden ist nach der furchtbaren Angst und Verzweiflung, will ich Dir kurz einen Bericht über die Tage geben, damit Du ein deutlicheres Bild von allem hast, als es Dir die qualvollen 4 Briefe von Dienstag Abend (Montag war ein Schreibfehler) und Mittwoch geben konnten.

Dein erster Brief kam DienstagAbend vor Ostern an; er war der stärkste; denn er wandte sich unmittelbar gegen mein persönliches Centrum, er erweckte eine Doppelstimmung in mir: Einerseits fühlte ich mich getroffen und gab Dir Recht. Andererseits fürchtete ich mein Geistiges mißdeutet und gefährdet. Aus dem ersten Gefühl heraus schickte ich Dir die Bibel als Ausdruck der Anerkennung Deiner prophetischen Worte, als Ausdruck des Willens | zur unbedingten, in Gott begründeten Gemeinschaft. Denn wem ich dieses Buch gebe, dem bin ich verbunden in alle Ewigkeit; ich kann es nicht von mir geben, sondern ich kann nur mit ihm gehen. – das andere Gefühl veranlaßte mich zu dem starken Abwehrbrief; denn es wäre mir Deiner unwürdig vorgekommen, wenn ich mich einfach gebeugt hätte, ohne mein Geistiges behaupten zu wollen. – Innerlich, hattest Du mich aber schon überwunden, und als am Ostersonnabend Dein sachlich so klarer anschaulicher Brief kam, gab es für mich keinen Zweifel mehr.

Ostern war Toni größtenteils weg und wir hatten beschlossen, daß Margot hier sein sollte. Ich stand nun vor der Frage, mit Deinen Briefen anfangen oder endigen; ich entschied mich für das zweite, erstens weil ich die Tage nicht bloß unter dieses Kampfproblem stellen wollte, zweitens weil ich gerade aus dem intensiven Zusammensein heraus die Entscheidung geboren sein lassen wollte. So waren wir – nicht ohne einen gewissen, von ihr empfundenen Druck – den ersten und halben zweiten Ostertag zusammen. Am Nachmittag des zweiten las ich all Deine Briefe vom Dienstag bis Sonnabend vor. | Sie saß mit den Händen vor dem Gesicht dabei, und dann nach langer Pause: „Da beuge ich mich.“ In diesem Augenblick war eine tiefe Seligkeit in mir; denn ich wußte, daß ich nun frei war ohne sie verloren zu haben; wir sprachen dann noch über die geistige und problematische Seite der Sache, und Abend waren wir noch einmal intensiver als je zusammen, und aus der vollkommenen seelischen Einheit brach die Gewißheit der Verzichtnotwendigkeit mit intensivster Gewalt hervor. Am Dienstag Vormittag ging sie weg, in Schmerzen und Seligkeiten, am Nachmittag besuchte ich Sydows, Minchen im Wochenbett sehr schön, Eckhart als stolzer Vater eines kleinen Mädchens, und ich litt in dem Gedanken, daß ich diesem Wochenbett fern sein müßte. Als ich zurückkam, lag Dein Brief da, der mich an den Rand der Verzweiflung brachte. Ich habe von diesem Augenblick an nichts getan, als an Dich geschrieben, auch wenn ich schlief, spazieren ging, arbeitete. Du hast die vier Briefe nun alle beantwortet, obgleich sie mehr Schreie der Qual als sachliche Briefe sein sollten. Am Dienstag klingelte M.arie L.uischen an. Ich habe ihr noch einmal alles gesagt und sie wird wohl inzwischen geschrieben haben. Sie war sehr lieb und schien sehr glücklich über die Entwicklung zu sein. Wir werden uns immer nahe bleiben. (Über die Schreibmaschine freue ich mich sehr. Falls Du sie Dir nicht von Deiner Mutter schenken lassen willst, kaufe ich sie natürlich. Für die 200 M Dank und Schimpfe!) Gestern früh kam ein Brief von Margot, indem sie mir ihr Herz in wundervollen Worten, besonders auch über Dich, ausschüttet. Der Ostermontag war der Tag meiner Geburt, schreibt sie. Ich bat sie dann zum Kaffee und gab ihr Deinen Brief an sie, über den sie außerordentlich beglückt war. Sie wird Dir morgen schreiben. Ich danke Dir, liebe, geliebte Hannah, daß Du sie ganz mit aufgenommen hast! Ich glaube, wir haben in ihr jemand, der ein großes Geschenk der Gnade für uns ist. Ich hoffe, Dein Wunsch, sie zu sehen, wird in Erfüllung gehen, wenn sie im Mai durch Marburg fährt. – M.arieL.uischen wird Brosche und Ring an Dich senden; es ist mein Ring, den ich schon über 1 Jahr getragen hatte im Bewußtsein der Bindung an Dich. Er ist Dein Ring geworden dadurch. Bald mehr aus der Fülle meines Herzens.

Dein Paul.
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