Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 1. oder 2. August 1933Der Brief ist mit keinem Datum versehen. Die hier vorgenommene Datierung ergibt sich aus seinem unmittelbaren Bezug auf das Telegramm Paul Tillichs an Hannah Tillich vom 1. August 1933.Der Brief ist mit keinem Datum versehen. Die hier vorgenommene Datierung ergibt sich aus seinem unmittelbaren Bezug auf das Telegramm Paul Tillichs an Hannah Tillich vom 1. August 1933.

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Liebste Hannah!

Nun also der genaue Bericht zu meinem Telegramm. Ich beginne mit den entscheidenden Punkten:

1) Die Entscheidungen auf Grund des Beamtengesetzes werden durch eine Kommission in Form eines Disziplinarhofes gefällt. Die Mitglieder der Kommission dürfen Beurlaubte nicht empfangen. Die Universitäten werden der Reihe nach durchgearbeitet und man wird bis 30. Sept. fertig. Über den Ausgang kann niemand etwas sagen, da es sich um förmliche Verhöre u.s.w. handelt, die zu einer Entscheidung der Kommission führen. Gerullis gehört dieser Kommission nicht an; darum konnte er mich empfangen. Er muß aber in allen zweifelhaften Fällen sein Votum abgeben; dann entscheidet der Minister endgültig. Eine Beschleunigung für einen einzelnen ist unter diesen Umständen völlig ausgeschlossen. Dieses soll ich allen Kollegen mitteilen.

2) Fällt die Entscheidung positiv aus, so wird der Betroffene rehabilitiert und als das was er vorher war, an einen anderen Ort versetzt. In diesem Falle | beginnen die Vorlesungen im Winter und eine Beurlaubung irgend welcher Art kommt nicht in Frage.

3) Fällt die Entscheidung negativ aus, so tritt Pensionierung ein und zwar nach den Pensionierungs-Berechnungen bei der Anstellung. Für mich würden ca 25 Jahre herauskommen. In diesem Falle bleibt man unter Beamtenrecht und braucht für einen längeren Aufenthalt im Ausland Urlaub.

4) Ich soll den Urlaub für den Ruf an die Columbia-Universität und das Union-Seminar einreichen; es geht dann an das Auswärtige Amt und wird, falls keine außenpolitischen Bedenken vorliegen, genehmigt. Natürlich kann ich das erst machen, wenn die formelle Aufforderung vorliegt. Negative Wirkungen auf mein Verfahren hat dieser Antrag nicht.

5) Ich soll für das Verfahren zur Verfügung stehen | und Deutschland auf keinen Fall vorher verlassen

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Dies der Inhalt der Unterhaltung, die sehr ruhig und nett verlief, besonders als ich von meinem Saßnitzer "Exil" erzählte. Für mich ist die Sache damit bis auf Weiteres vollkommen klar: Da ich entschlossen bin, meine Entscheidung von der Entscheidung des Ministeriums abhängig zu machen, so kann ich nicht weg, ehe diese Entscheidung gefallen ist. Zumal ich Gelegenheit bekommen werde, meine Position klar und eindeutig gegenüber den Angriffen hinzustellen. Es ist selbstverständlich, daß man von dieser Gelegenheit Gebrauch macht und nicht vorher wegläuft. Andrerseits will ich den Ruf nach N.Y. annehmen, wenn ich pensioniert werde. Ich werde also der Columbia-Universität unter Vorbehalt der Beurlaubung zusagen und sie bitten, den Termin so zu legen, daß über meinen Antrag auf Beurlaubung entschieden werden kann. | Ich zweifle nicht daran, daß sie es tut, zumal es sich dann nur noch um 14 Tage bis 4 Wochen handelt: Tut sie es nicht, so ist ihr eben nicht ernsthaft an mir gelegen. Jedenfalls kann ich eine Lebensentscheidung nicht von einer Termindifferenz von 14 Tagen abhängig machen. - Die Sache Emils ist damit vorläufig erledigt;2] denn es scheint, als ob man auf alle Fälle den Termin einhalten will, was auch Speier für töricht hält. Vielleicht entschließt man sich doch noch zu verschieben; sonst ist nachträgliche Ergänzung beabsichtigt. Mir ist das Andere, wenigstens von Weitem, sehr viel sympathischer. – Holland muß ich ganz absagen.

Liebe süße Hannah! Ich danke Dir, daß Du mir Freiheit läßt, wenn es Dir auch schwer wird. Zu Deinem Trost: Ich halte die Chancen hier nicht für gut; er erschrak sichtlich, als ich auf seine Frage antwortete "daß es sich um §4 handelt.3] Aber ich will nicht weglaufen." – Dein Gedicht ist immer in mir.

Dein Paul.
    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    • Speier, Hans (US-amerikanischer Soziologe deutscher Herkunft)
    • Rust, Bernhard (Am 2. Februar 1933 wurde er kommissarischer preußischer Kultusminister und 1934 mit Bildung des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in Personalunion Reichsminister)
    • Tillich, Hannah
    • Lederer, Emil (Ökonom; Soziologe;)
    • Tillich, Paul (Theologe; Religionsphilosoph; Pfarrer;)
    • Gerullis, Georg (Baltist; Ministerialdirektor;)

    Orte: