Der editierte Text

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Sonntag Nachmittag1
Liebe a!

Ich danke dir, daß Du angerufen hast. Der Zustand vorher war furchtbar; denke Dir alle Deine Eifersucht und alle Deine Angst um b vereinigt, und Du weiß wie mir zu Mut war. Eins verstehe ich noch nicht: Warum hast Du dich angemeldet und nicht geschrieben: "aber wegen Zahnarzt nur auf einen Tag." Dann wäre alles klar gewesen. Aber Dein Brief und das Telegramm zusammen,2 das war zum Wahnsinnigwerden. Nun Schluß davon, wir wollen es vergessen. – –

Du mußt nun kommen. c sagte heut in seiner taktvollen Weise: Es wäre irgendwie falsch, wenn sie solange mit mir und gar nicht mit Dir zusammenge| wesen wäre. Ich finde das sehr richtig. Und d schreibt Dir noch extra. Es kommt nicht auf den Tag an. Überanstrenge Dich ja nicht! Am besten ist, Du telephonierst am Abend, ehe Du kommst. Dann bist Du nicht vorher gebunden und wir können alles genau besprechen. Das Geld laß meine Sorge sein.

Sonst wäre viel zu berichten: Seit 3 Tagen liegt e mit 39-40 Gr. Fieber; erst seit heute Besserung. Wahrscheinlich Grippe. Aber da sie im andern Haus liegt, ist Ansteckung nicht zu befürchten. – Ich habe nach vielen Qualen den neuen Titel für die f gefunden: "Die beiden Wurzeln des politischen Denkens"3 Untertitel: "Zur Kritik und Begründung des Sozialismus." Dazu habe ich das Einleitungskapitel nun geschrieben. Die anderen müssen noch stark umgestaltet werden. Es ist eine furchtbare Arbeit. Abends lese ich vor, dabei geht mir noch manches auf. – Eben mit ih eine halbe Stunde im j Schloß| Kaffee; Sie wollten mich gleich nach k mitnehmen, waren sehr nett. – Hier ist Nazi-Jugendtag. 100 000 Leute mindestens, z. T. jünger als l. Heut früh Segelparade vor m. Wir im Motorboot mitten durch; dann eine Sturmfahrt auf dem Schwielow-See.| Vorgestern Abend mit n, o, p im chinesischen Restaurant Abendbrot gegessen. q in offener Verzweiflung über r. s am Verhungern, t demnächst von ihrem Mann verlassen. u spielt mit Gasschlauch. So sieht ganz v aus. Für w vielleicht Stellung bei x. Sonst niemand in y gesehen.

Komm!
z

Fußnoten, Anmerkungen

1Auf dem Brief findet sich keine genauere Datumsangabe. Die vorgenommene Datierung ergibt sich aus dem Kontext (der im Brief erwähnte Potsdamer Reichsjugendtag der Nationalsozialisten fand von 1. bis 2. Oktober 1932 statt. Tillich überschreibt seinen Brief mit "Sonntag Nachmittag").
2Brief und Telegramm liegen nicht vor.
3Der hier angedachte Titel bildete letztlich die Überschrift der Einleitung zu "g".

Register

aTillich, Hannah
bFarris, Erdmuthe
cLöwenfeld, Günther
dLöwenfeld, Claire
ePincus, Lily
fTillich, Die sozialistische Entscheidung, 1933
gTillich, Die sozialistische Entscheidung, 1933
hSchairer, Reinhold
iSchairer, Gerda
jPotsdam
kBerlin
lFarris, Erdmuthe
mHitler, Adolf
nSydow, Eckart von
oWerner, Marie Luise
pSachs, Emmy
qWerner, Marie Luise
rSydow, Eckart von
sSachs, Emmy
tReutern, Ilsemargot von
uSydow, Eckart von
vBerlin
wSachs, Emmy
xLöwenfeld, Günther
yBerlin
zTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Hannah. Papers, 1896-1976, bMS 721/3(2)
Typ

Brief, eigenhändig. Das verwendete Briefpapier ist am Briefkopf bedruckt: "Das Haus auf dem Küssel. Potsdam, Küsselstraße 40-41, Fernruf 5034"

Postweg
Potsdam - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 10. Juli 1932 [PS]
nächster Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 22. September 1932 [PS]

Entitäten

Personen

Orte

Literatur

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 2. Oktober 1932, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L01154.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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