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6. Juni

Lieber Tillich!

Wie mir Schweitzer mitteilte hast Du an meinem Auftreten in dem Grosz1]- und Scheuen-Prozess2] Anstoss genommen. Das tut mir von Herzen leid. Ich nehme aber an, dass Du weder meine Ausführung in der Zeitwende gelesen hast, noch meine speziellen Gutachten kennst. Das ist ungerecht. Woher weisst Du, was ich im Scheuen-Prozess überhaupt gesagt habe? Was die "Voss.ische Zeitung"3] darüber berichtet hat, ist geradezu lächerlich entstellt. Warum hältst Du Dich denn nicht an den Vorwärts4]? Ich bitte Dich auch einmal bei Herrn Dir. Krebs vom Lindenhof5] Nachricht einzuholen. Er ist Mitglied der Soz.Dem. Partei. Ich bin mit ihm ganz einig gewesen. Wir unterscheiden uns allerdings von den Herren Schloss und Bondy gründlich; vor allem von Bondy, der keine Ahnung von den wirklichen Schwierigkeiten hat. Auch Krebs war jahrelang Leiter eines Jugendgefängnisses. Er hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die Leitung eines Jugendgefängnisses ein Kinderspiel ist, gegenüber der Leitung einer Fürsorge-Erziehungsanstalt.

Aber warum fragst Du mich nicht einmal selbst? Hast Du noch nie einmal etwas von der Krisis der Gerichtsberichterstattung gelesen? Im Neuwerk hat kürzlich darüber etwas sehr Vernünftiges ge| standen.6] Nun möchte ich Dir folgenden Vorschlag machen. Wenn Du denkst, der Berneuchener Kreis würde durch meine Stellungnahme kompromittiert, dann bin ich gern bereit auszuscheiden. Ich werde dementsprechend in den nächsten Tagen an Ritter schreiben, denn ich möchte nicht, dass Ihr in eine üble Lage kommt. Auf der andern Seite möchte ich aber betonen und herzlich darum bitten, dass durch diesen Austritt mein bisheriges Verhältnis zu Dir nicht getrübt wird. Ich bin nun einmal gern in Deiner Nähe und sei es auch als Ketzer. Leider hat mir Schweitzer den Text Deines Briefs nicht gezeigt.

Mit herzlichem Gruss
stets Dein getreuer
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    Literatur:

    • Goldstein, Moritz, "George Grosz freigesprochen". Gerichtsreportagen aus der Weimarer Republik, Hamburg 2005. 
    • Vorwärts, div. Herausgeber, 1876ff. 
    • Aktenstücke aus dem Grosz-Prozeß, in: Neuwerk. Ein Dienst am Werdenden, 12. Jg. (1930/31), 291-309 
    • Schreiner, Helmuth, Die Hintergründe des Grosz-Prozesses, in: Zeitwende. Monatsschrift, hg. von Tim Klein/Otto Gründler/Friedrich Langenfaß, Jg. 7/1 (1931), 193-206.