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D. 26

Liebste Hannah!

Gestern und vorgestern habe ich an die andern im Haus Karten1] geschickt, die natürlich immer für Dich mitbestimmt sind. Heute sollst Du wieder etwas mehr hören. Du schreibst, daß ich zu wenig Persönliches schreibe. Inzwischen hast Du ja einen Brief von mir (aus Trouville) in dem ich einer ziemlich tief gehenden Stimmung Ausdruck gegeben habe. Gar nichts, aber wirklich gar nichts ist zu erzählen von Frauen-Sachen. "Paris" in diesem Sinne ist ein Mythos, ein Ideal und ein Romanprodukt, aber keine Wirklichkeit, auf keinen Fall für den, der hier nur als Fremder ist. Die Straße bietet nur Beziehungen zur "Straße" – die kann man haben, wirklich, unerschöpflich, sicher auch sehr ent| zückend, wenn man es gut trifft – aber für Geld, geschäftsmäßig, habgierig, unseelisch, ungeistig, unmenschlich. Neulich waren wir auf Montmartre, gerieten an einen Tisch mit Negerdamen, auf die Eckart es schon lange abgesehen hatte. Die eine war wirklich sehr schön. Er ging mit ihr weg und kam wieder. Ich saß inzwischen mit den andern und unterhielt mich. Ich konnte, könnte und kann mich nicht entschließen mitzugehen. Und wenn dann nur um einmal eine halbe Stunde (länger kostet doppelte Taxe) in einer wirklich-französischen Atmosphäre zu sein, weiter nichts. Aber das ist wenig und mit 1000 Scheußlichkeiten| verbunden. – Nachher gingen wir noch eine Stunde in diesem ungeheuren Strom auf und ab, wurden fortlaufend von den Mädchen attaquiert, wobei Eckart wegen seiner Negerin dem Spott der meisten Mädchen, die die Konkurrenz fürchten, verfiel. Das war sehr amüsant. – Eine andere Sache, die man auch haben kann, sind pornographische Kinos, Nackttänze etc. An jeder Ecke, in der Rue Pigalle an jedem Haus wird man angekriegt, ob man will. Ich glaube, wenn man die 10M opferte, wäre man um eine Enttäuschung reicher. – – Bliebe der Weg über die französische Gesellschaft. Der ist natürlich möglich| aber es ist langwierig. Das Exempel haben wir gestern Abend gemacht. Wir waren bei einem Maler Linsa eingeladen, guter französischer Geschmack, primitiv-flächig. Er hat eine entzückende Frau (was aber fast selbstverständlich ist, denn alle Französinnen sind "entzückend" im Sinne einer ganz bestimmten Formung). Es waren noch 5 Herrn da, darunter ein recht bedeutender Maler Marcussi. Eckart und ich führten die Hausfrau. Es gab eine mächtige Unterhaltung über Barock, an der ich auch etwas Teil nahm. Ich| sprach auch etwas mit der Frau. Aber dann kam die Sprachfremdheit zur Geltung. Natürlich kann man sich verständigen. Aber der Eros im allerallgemeinsten Sinne braucht mehr als Verständigung; er braucht eine Atmosphäre, durch die das Wort überhaupt erst zu einer Verbindung führt, das gilt genau so von der Unterhaltung mit den Männern über die Kunst oder sonst etwas. Im Grunde kann man Sprachen nicht lernen, sondern nur in ihnen leben. Der Rest ist Technik der Verständigung. – – –

Dagegen ist es bis zu einem gewissen Grade möglich, in den Rythmus dieser Stadt hereinzukommen. Ich bemühe mich darum| durch möglichste Anpassung. Z.B. dadurch, daß ich es vermeide, den Sehenswürdigkeiten nachzurennen. 1-2 St. Louvre als tägliche ernsthafte Arbeit. Besuch immer neuer Stadtteile im Bummeltempo mit und ohne Ziel, ruhiges Sitzen im Kaffee mit Schreiben und Arbeiten, Abends die kleinen Theater und Revuen – – so kommt man dem Rythmus des Pariser Lebens immer näher, und das ist sehr beglückend. Dazu kommt das fabelhafte kühl-sonnige Herbstwetter, die westlichen, farbigen Wolken und die Bäume, die einen goldbraunen Ton haben, die unerschöpfliche Fülle schöner Frauen, die den| Straßen innerlich und äußerlich ein leicht berauschendes Parfum geben. – – (Es ist jetzt ½ 7. Ich sitze auf dem Champs-Elyseés, wo ununterbrochen 5 Reihen von Autos nach beiden Seiten vorbeisausen und vieles Elegante vorbeigeht. Mir gegenüber jenseits der Seine die Kuppel des Invalidendomes, auf dem die untergehende Sonne glänzt.)

Frau Fondaminski ist leider verreist. Er kommt früh zurück und will mich dann einladen. Nora wohnt gegenüber dem Louvre in einem Luxushotel, Ich will mich mal morgen früh nach ihr erkundigen. Hamburgers seit 2 Tagen| nicht gesehen: In Summa: Mit Bekannten ist nicht viel und ich bedaure es kaum. Um so stärker sind die Sachen.

Ich denke jetzt – meiner Situation entsprechend viel über das Problem der "Verdrängung" nach, und glaube, daß wir es viel positiver lösen müssen als üblich. Die Durch-Erotisierung des sinnhaften Lebens gibt diesem Blut und Sinn zugleich und nimmt der "schöpferischen Lust" nichts an Kraft. Von hier aus erhält alles Askese ein starkes Plus – – – Süße liebe Hannah Ich möchte immerzu mit Dir reden und Dich lieben in höchster "schöpferischer Lust."

Dein Paul.
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