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Trouville, d. 7.

Liebste Hannah!

Heut kam wieder Post von Dir, der Brief,1] worin Du von Deinem Gast schreibst und für den ich Dir sehr danke. Doch würde ich mich trotz allem freuen, mal einiges Gedankliche von Dir zu hören – als Antwort und als Frage. – –

Nun erst allerhand Sachliches: Der Brief von Schwarz.2] Unten rechts im Regal hinter meinem Stuhl liegen die Zeitschriften, darunter auch die "Zeitwende". (sonst in jeder Dresdner Buchhandlung). Darauf steht die Adresse des Herausgebers3]. An diesen sende bitte die Schrift von Schwarz und schreibe dazu, daß ich auf Reisen wäre, sie aber durch Dich bäte, diese nach meiner Meinung gute Sache zu berücksichtigen. Zwei Sätze, weiter nichts.4]

An Lydia und nach Breslau habe ich abgeschrieben.5] Den Jung lese ich lieber in Dresden;6] hier komm ich nicht dazu.| Der Bauch ist zwar nicht in Ordnung, stört mich aber nicht mehr sehr. An dem Tag, wo Spiegelbergs kamen, war gerade ein Rückfall und darum war ich etwas "magen-verstimmt" – wie Elis schreibt. Ich bin natürlich sehr vorsichtig – Aber es ist so schwer, richtige Diät zu halten.

Dein Gedanke, daß ich in Paris einkaufen soll, ist natürlich einzig richtig. Es ist halb, höchstens 2/3 so teuer. Bitte schreibe mir doch im nächsten Brief, um was es sich für Dich und mich handelt und unterstreiche das Wichtigste! Sieh zugleich, ob Du 100-200M bekommen kannst. Da ich Ende Oktober 500M verdiene, wäre es ja töricht, wenn wir diese Gelegenheit nicht benutzten.

Den Stepun habe ich Christian gegeben;7] er muß ihn noch haben. Bitte ihn doch darum!

Wie steht es mit Deiner Geldlage? Schreibe doch mal darüber! Hast Du auch wirklich genug und kann ich bleiben?|

Am Sonntag war sozusagen letzter Tag in Deauville. Wir waren am Vormittag zum Baden und erlebten noch sehr viel schönes und elegantes Volk. Die Auffahrt der Autos zum Bad fast unübersehbar (Privatautos). Am Nachmittag zum Tee im Kurhaus wurde Oper und Ballet aus Paris gegeben. Seit Montag ist Schluß der Saison. Zum Trost – und mehr als das – setzte der erste richtige Westwind ein, und es kam ein herrliches Meer. Heut Nachmittag war ich mit Spiegelbergs in Honfleur, dem Lieblingsort Baudelaires, einem alten Fischernest und Hafen an der Seine-Mündung. Morgen wollen wir über Havre-Rouen nach Paris – wenn uns nicht das Meer aufhält.

Am Sonnabend Abend hatten Eckart und ich ein echt Trouviller Erlebnis: Wir gingen um 10-11 am Strand von der Promenade. Schon stürzten sich zwei Cocöttchen auf uns, zwangen uns mit Grazie auf die Stühle, die dort zu Hunderten stehen und luxten uns in kurzer Zeit mit ebensoviel Grazie| 3M ab. – – – – ein Überfall in der Wüste vor den Augen der Civilisation.

Die Reise als Ganzes war wohl meine ernsteste, die ich je gemacht habe. Die stillste, in der größten, fremden Natur, allein mit Eckart, und damit in all dem allein, was die Frau gibt. Ich sagte heut zu Spiegelberg, daß ich glaub, es ist noch nie so viel in mein Unbewußtes gefallen. Aber was, weiß ich nicht. Ich habe keinen Augenblick einfach gejubelt, wie in Kampen oder Italien. Es war immer seelische Last dabei, auch in der Natur. Dabei habe ich mich sicher am besten erholt. Spiegelbergs waren begeistert von meinem Aussehen. Hoffentlich nimmt Paris nicht zu viel weg. Aber es ist etwas Schweres, Festes in mir, als wie ich wegfuhr.

Hab keine Sorge! In Paris ist alles anders. Und äußerlich gefährlich ist nichts. Dazu sind sie viel zu höflich und wir viel zu harmlos.

In ständiger Freude über Dich und Erdmuthe!
Dein Paul.
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    Literatur:

    • Stepun, Fedor, Die Mission der Demokratie in Rußland, in: Hochland, 23. Jg. (1926), Nr. 1, S. 412-434. 
    • Stepun, Fedor, Das Problem der Demokratie in Rußland, in: Hochland, 22. Jg. (1925), Nr. 1, S. 389-404 u. 557-571. 
    • Zeitwende. Kultur, Kirche, Zeitgeschehen, wechselnde Verlagsorte, 1925ff. 
    • Stepun, Fedor, Der metaphysische Sinn der Revolution und die Sowjetliteratur, 24. Jg. (1927), Nr. 2, S. 34-45 u. S. 187-198. 
    • Hochland. Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur u. Kunst, hg. von Carl Muth, 1903ff.