Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 20. September 1926

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Der editierte Text

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d. 20.

Liebste Hannah (Details anzeigen)!

Es ist immerzu so viel zu schreiben, daß ich gar nicht weiß, womit anfangen. Z.B., daß ich jetzt in der Avenue Wagram sitze mit Blick auf Triumphbogen und Eiffelturm, und die Sonne untergeht im Dunst, den die wolkenlose Glut der letzten Tage über Paris (Details anzeigen) gelegt hat. Daß ich heut die ältesten Straßen von Paris (Details anzeigen) durchwandert habe, daß ich gestern mit Malla (Details anzeigen) (Hamburger (Details anzeigen) ist zu einer Konferenz nach Düsseldorf (Details anzeigen) gefahren) einen Sonntag-Nachmittagsausflug nach der Marne gemacht habe, wo man Corot (Details anzeigen) und Monet (Details anzeigen) und Cezanne (Details anzeigen) auf einmal, von der Natur, von dieser| Landschaft aus verstehen kann – die unendlichen Nüancen von Grau-Grün und die Flüchtigkeit der Häuser und Berghänge – [Mein Begriff der Sinnerfüllung der Natur durch die Kunst lebte plötzlich wieder auf] – und wo Maupassant (Details anzeigen) viele seiner kleinen Pariser Novellen spielen läßt und wir selbst in eine ganz Maupassant-hafte Stimmung kamen [wobei mir wieder der Begriff der Sinnerfüllung nämlich des gesellschaftlichen Geschehens durch den Dichter erläutert wurde] – –|

Neulich Abend waren wir in Folies-Bergère[.] Wir nehmen bei so etwas immer Promenoir (Stehplatz für 6 Fr), wo man bis an die Bühne herangehen und glänzend sehen kann wie auf den 100 Fr.-Plätzen. Es war die übliche Revue, aber mit der Baker (Details anzeigen), der Mulattin, die im Winter bei Nelson aufgetreten ist. Ich habe von dem Abend den Eindruck gehabt: Die Revue ist erledigt, die große Einzelleistung ist alles. Die Revue lebt von der Betrachtung des Geschaffenen (daher ihr Name) dieses kann geistreich sein, wenn viel zu betrachten da ist. Wenn aber nur noch Re| vue da ist, dann bleibt nichts übrig als eine „Betrachtung der Betrachtung“, in der sich das Ganze in Nichts auflöst. Die eine wilde Mulattin wiegt alle Pariser Revuen auf. Ihr Körper und jede ihrer Bewegungen grenzt ans Wunderbare. Jede Bewegung ist der ganze Körper in Bewegung, ob sie Bauchtanzt oder den kleinen Finger bewegt – – – – –

Morgen Mittag essen wir mit Frau Kaden (Details anzeigen), morgen Abend bin ich bei Nora (Details anzeigen). Heut und gestern kein Brief von Dir, das ist immer sehr schwer!

In Sehnsucht!
Dein

Paul (Details anzeigen)

Morgen mehr


Fußnoten, Anmerkungen

Register

aTillich, Hannah
bParis
cParis
dJessen, Malla
eHamburger, Hans
fDüsseldorf
gCorot, Jean-Baptiste Camille
hMonet, Claude
iCezanne, Paul
jMaupassant, Guy de
kBaker, Josephine
lKaden, Lalla
m???, Nora
nTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Hannah. Papers, 1896-1976., bMS 721/2(23)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Paris - unbekannt
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Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 20. September 1926, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00907.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00907.pdf