Der editierte Text

|
D. 19ten
Liebste b!

Morgen ist also der Tag, wo wirklich wird, was ich schon fast 2 Jahre vorausgenommen habe: der 40te Geburtstag. Es rührt mich infolge dieser langen Vorwegnahme nicht sehr. Nur daß Du nicht hier bist und irgend etwas Liebes von Deiner Hand mich überrascht, ist mir ein wirklicher Schmerz. Ich werde morgen viel an Dich denken und c und ich werden eine besonders gute Flasche Wein trinken: das ist alles.

Aber die unerhörte Schönheit d ersetzt alles (nur nicht Dich selbst) – – –

Wir wohnen in einem alten Gutshaus mit sehr großem Park nach englischem Stil mit viel Rasenflächen und wenigen, langen Wegen. e und ich haben jeder ein Dachzimmer mit Blick aufs Meer. Wir lassen uns| um 7(!!!) wecken und bekommen um ¾ 8 den Kaffee auf mein Zimmer. Dann gehts an den Badestrand in der schönsten und wellenreichsten der vielen Buchten mit weißem Sandstrand (welches hier eine Seltenheit ist). Wir baden jeden Tag und es bekommt mir glänzend. Am Strand sind wir sonst die einzigen. Die Provinzfranzösinnen baden selten und ungern und dann in Familien an dem weniger schönen Kinderstrand. Um 12 Uhr ist "grand déjeuner" (Mittagessen): Es gibt als Vorspeise zur Wahl eine kleine Krabbenart in der Schale, Seemuscheln, Radieschen, Wurstschnitten, dann als zweites einen warmen Fischgang, dann ein Gemüse, dann Fleisch mit Kartoffeln, dann grüner Salat, dann| eine Speise oder Käse und Obst. (Ich habe übrigens in Frankreich Tomaten essen gelernt). Das sieht sehr viel aus, ist es aber nicht; denn alles einzelne ist wenig. Dazu selbstverständlich vin ordinaire, ein herrlicher weißer Bordeaux. (50FF die Flasche!!) Nach Tisch sitzen wir im Park und spielen zu Kaffee Schach. Dann gehts an irgend eine schöne Stelle, wo wir arbeiten und schreiben. Um ½ 8 Diner, fast genau wie oben. Nachher einen Mondscheinbummel im Park oder am Hafen. Um 10–½ 11 ins Bett mit sofortigem Schlaf.

Die Gegend ist unbeschreiblich schön, Fels-Küsten, Buchten, zwei alte Festungswerke auf hervorspringenden Klippen, ein Hafen für Fischer, am Abend ringsherum Leucht| türme und Lagerfeuer, der stärkste der Leuchtturm der Insel f, an dem wir damals gerade vorbeifuhren, als ich seekrank wurde. Wir sehen ihn freilich von der andern Seite. So vereinigt sich hier alles, was die anderen Orte Schönes hatten und wir sind nun beglückt.1

Viele 1000 Grüße!!
Dein h

Fußnoten, Anmerkungen

1Im Original folgt hier eine Bleistiftkartenskizze von g und Umgebung.

Register

aLe Conquet
bTillich, Hannah
cSydow, Eckart von
dLe Conquet
eSydow, Eckart von
fOuessant
gLe Conquet
hTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Hannah. Papers, 1896-1976, bMS 721/2(23)
Typ

Brief (mit der Bleistiftskizze einer Karte von a und Umgebung am Briefende), eigenhändig

Postweg
Le Conquet - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 16. August 1926
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 22. August 1926

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 19. August 1926, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00892.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

{{Internetquelle |url=https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00892.html |titel=Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich vom 19. August 1926 |werk=Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition. |hrsg=Christian Danz, Friedrich Wilhelm Graf |sprache=de | datum=19.08.1926 |abruf=???? }}
L00892.pdf